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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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bereits auf die üblichen blumigen Kult-Phrasen gefaßt gemacht, den Quatsch über archetypische Zauberer und Hexen oder die dringende Notwendigkeit, das verlorene Wissen der Alchimisten wiederzuentdecken. Die Strategie, von der Quantenmechanik auszugehen und die Grenzen ihrer anti-intuitiven Ungewöhnlichkeiten in eine Richtung zu erweitern, die der Philosophie des Kults angemessen war, ließ sich wesentlich schwieriger verfolgen. In den Händen eines redegewandten Scharlatans konnte die Quantenmechanik praktisch zu allem Möglichen verwässert werden – von einer ›wissenschaftlichen‹ Basis für Telepathie bis zum ›Beweis‹ für den Zen-Buddhismus. Doch im Grunde spielte es kaum eine Rolle, wenn ich den genauen Moment verpaßte, in dem Conroy von der etablierten Wissenschaft zur Phantasie der Anthrokosmologisten überging. Ich konnte die Argumentation später rekonstruieren und evaluieren, wenn ich wieder meine elektronische Zitze zur Verfügung hatte und ich mir fachlichen Rat suchen konnte.
    Conroy lächelte über meine Nervosität – und fuhr in der Sprache der Wissenschaft fort. »Historisch betrachtet handelte es sich hierbei um die Verschmelzung der Physik mit der Informationstheorie. Oder zumindest versuchten viele Leute für eine Weile, diese Verschmelzung zu betreiben. Sie versuchten festzustellen, ob es sinnvoll war, davon zu sprechen, daß all diese Dinge nur aus einem Strom von Ja- und Nein-Antworten konstruiert wurden – nicht nur die Raumzeit individueller mikroskopischer Ereignisse, sondern auch die zugrundeliegende Quantenmechanik und all die verschiedenen, damals noch unvereinheitlichten Feldgleichungen. Die Wirklichkeit als Funktion von Information, einer Anhäufung von Wissen. Wie Wheeler sich ausdrückte, ›etwas aus einem bißchen‹.«
    »Ich habe den Eindruck«, sagte ich, »daß all diese hübschen Ideen nicht mehr zeitgemäß sind. Auf der Konferenz redet niemand von solchen Konzepten.«
    Conroy nickte. »Die Informationsphysik verschwand fast vollständig aus der ernsthaften Diskussion, als die Allgemeine Vereinheitlichte Feldtheorie sich aus der Asche der Superstring-Theorie erhob. Was hatte die Geometrie des zehndimensionalen Totalraums noch mit Bit-Sequenzen zu tun? Sehr wenig. Also beherrschte seitdem die Geometrie das Feld. Und bis jetzt hat sie sich als der produktivste Ansatz erwiesen.«
    »Und welche Rolle spielen nun die Anthrokosmologisten? Haben Sie Ihre eigene UT aus der ›Informationsphysik‹ entwickelt, die das Establishment einfach nicht ernst nehmen will?«
    Conroy lachte. »Wohl kaum! Für eine Auseinandersetzung auf diesem Feld sind wir nicht qualifiziert, und wir wollen uns auch gar nicht einmischen. Buzzo, Mosala und Nishide werden die Sache schon unter sich ausmachen. Ich bin überzeugt, daß einer von ihnen am Ende mit einer makellosen UT dastehen wird.«
    »Also…?«
    »Gehen wir noch einmal zu Wheelers Modell des Universums zurück. Die physikalischen Gesetze entwickeln sich aus Mustern in zufälligen Daten. Aber wenn ein Ereignis nur dann stattfindet, wenn es beobachtet wird… dann existiert ein Gesetz erst dann, wenn es verstanden wird. Doch damit stellt sich die zwangsläufige Frage: Von wem muß es verstanden werden? Wer entscheidet, was ein Muster ist? Wer entscheidet, welche Form ein ›Gesetz‹ annehmen kann – oder was eine ›Erklärung‹ ausmacht?
    Wenn das Universum sich unverzüglich jeglicher menschlichen Erklärung beugt – dann würden wir in einer Welt leben, in der die Kosmologie der Steinzeit buchstäblich wahr ist. Oder es wäre wie in den alten Satiren über das Leben nach dem Tode – wo es einen speziellen Himmel für jede Glaubensrichtung gibt. Aber die Welt verhält sich nicht auf diese Weise. Ganz gleich, wie unterschiedlich die Meinungen sind, die Menschen finden immer wieder eine gemeinsame Basis, wenn sie über die Natur der Wirklichkeit streiten. Wir entschweben nicht in individuelle Universen, in denen unsere persönlichen Erklärungen die letzte Wahrheit darstellen.«
    »Richtig.« Ich hatte eine lebhafte Vision von der Theatergruppe der Mystischen Renaissance, wie sie Carl Jung, der das Kostüm des Rattenfängers von Hameln trug, durch ein psychedelisches Wurmloch in einen andersartigen Kosmos folgten, zu dem kein Rationalist Zugang hatte.
    »Deutet das nicht darauf hin«, sagte ich, »daß wir doch nicht in einem partizipatorischen Universum leben? Daß die Gesetze vielleicht doch unerschütterliche Prinzipien sind,

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