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Quantum

Quantum

Titel: Quantum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannu Rajaniemi
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nicht: eine zierliche, dunkelhäutige Frau mit
indianischen Zügen, die schätzungsweise in ihrem dritten oder vierten Körper
lebt. Ihr Laden ist hell und wirkt aufgeräumt, neben den Zeitmessern liegt
xantheischer Designerschmuck in den Ausstellungsregalen. Sie hat sofort eine
Momentaufnahme der Mit-Erinnerung in Tempmaterie ausgedruckt; die hält sie nun
in den Händen und klopft mit einem knallrot lackierten Fingernagel darauf.
    »Das muss Jahre her sein«, sagt sie, »dem Design nach etwa zwanzig
Erdenjahre. Der Kunde wollte ein besonders kleines Uhrwerk, in dem man etwas
verstecken konnte. Der Deckel öffnete sich, wenn man auf eine bestimmte
Kombination von Buchstaben drückte. Wahrscheinlich ein Geschenk an seine
Geliebte.«
    »Erinnern Sie sich zufällig auch an die Person, die sie gekauft
hat?«, fragt Isidore.
    Die Frau schüttelt den Kopf.
    »Laden-Gevulot – so etwas wird selten aufbewahrt, das wissen Sie ja.
Bedaure, nein. Die Leute sind oft sehr verschlossen, was ihre UHR EN angeht.« Sie runzelt die Stirn. »Allerdings – bin
ich ziemlich sicher, dass es davon eine ganze Serie gab. Neun Stück. Sehr
ähnlich im Design, alle für denselben Kunden. Ich kann Ihnen den Bauplan geben,
wenn Sie wollen.«
    »Das wäre großartig.« Isidore strahlt. Antonia nickt, und schon
füllt sich sein Kopf mit komplexen mechanischen und quantenmechanischen
Konstruktionsskizzen, und eine neue Schmerzwelle rollt über ihn hinweg. Antonia
lächelt, als sie ihn blinzeln sieht. »Hoffentlich hat Justin Sie nicht
erschreckt«, sagt sie. »Wir haben einen einsamen Beruf – lange Arbeitszeiten,
wenig Anerkennung –, manchmal lässt er sich ein wenig hinreißen, vor allem bei
jungen Männern wie Ihnen.«
    »Genau so könnte man auch den Beruf des Detektivs beschreiben«, sagt
Isidore.
    Beim Essen in einem kleinen schwebenden Restaurant in
Montgolfiersville ordnet Isidore seine Gedanken. Sogar hier wird er erkannt –
der Bote hat offenbar auf der Titelseite über seine
Rolle bei Unruhs Carpe-Diem-Party berichtet – aber die UHR EN
nehmen ihn so völlig in Anspruch, dass er darauf verzichtet, sich vor jedem
neugierigen Blick mit Gevulot zu tarnen. Den Geschmack seiner Kürbis-Quiche
nimmt er kaum wahr, während er im Geiste die verschiedenen Exemplare Revue
passieren lässt.
    Bis auf die Gravuren sind sie alle identisch. Bonitas.
Magnitudo. Aeternitas. Potestas. Sapientia. Voluntas. Virtus. Veritas. Gloria. Güte,
Größe, Ewigkeit, Macht, Weisheit, Willenskraft, Tugend, Wahrhaftigkeit, Ruhm.
Alles Eigenschaften, die er nicht so ohne Weiteres mit Jean le Flambeur in
Verbindung gebracht hätte. Aber sie lassen vermuten, dass die Unruh-Affäre
nicht dem spontanen Wunsch entsprang, mit den Barbaren der Oubliette ein Spiel
zu treiben, wie es der Millenar vermutete. Le Flambeur hat eindeutig eine
Verbindung zum Mars, die mindestens zwanzig Jahre weit zurückreicht.
    Beim Kaffee genießt Isidore die Aussicht auf die Stadt unter sich
und verbringt eine volle Stunde damit, die Worte zu blinkern. Sie tauchen in
dieser Kombination in mittelalterlichen Texten auf, zum Beispiel in Ramon
Llulls »Eigenschaften Gottes« aus dem 14. Jahrhundert, und es gibt Bezüge zu
den Sephiroth der kabbalistischen Tradition und der verlorenen Kunst des …
Erinnerns. Einer von Llulls Schülern war Giordano Bruno, der die Kunst der
Gedächtnispaläste, der Speicherung von geistigen Bildern an physischen Orten
gleichsam außerhalb des Bewusstseins, zur Vollkommenheit entwickelte. Das ist
immerhin eine Verbindung, die eine Saite zum Klingen bringt. Der Exospeicher
der Oubliette tut nichts anderes, er bewahrt alles, was an einem bestimmten Ort
gedacht, erlebt und gefühlt wurde, in der allgegenwärtigen Rechenmaschinerie,
die diesen Ort umgibt.
    Das fühlt sich von der Form her gut an, aber er ist nicht sicher, ob
es nicht einfach nur ein Musterabgleich ist, als sähe man Gesichter in den
Wolken. Doch dann kommt die fragmentarische Erinnerung an die
Architekturzeichnungen wieder hoch.
    Noch einmal Blinkern – unter dem Stichwort Gedächtnispaläste –, und
er erfährt, dass vor zwanzig Jahren im Auftrag der STIMME von einem Architekten namens Paul Sernine eine Serie von architektonischen
Projekten realisiert wurde. Das Thema lautete: Neun
Reflexionen über die Erinnerung .
    Alle Paläste liegen im Labyrinth, vergleichsweise nahe
beieinander, aber die Erinnerungen in den öffentlichen Exospeichern sind schon
alt, und Isidore muss ziemlich lange

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