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Quantum

Quantum

Titel: Quantum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannu Rajaniemi
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Ordnung?«
    »Mir geht es gut«, sagt er. »Ich muss arbeiten.«
    »Ach so. Na, dann sag Bescheid, falls du später noch etwas trinken
gehen möchtest.«
    »Wahrscheinlich nicht.«
    »Gut.« Sie nimmt einen Gegenstand vom Tisch, der in Stoff gewickelt
ist. »Weißt du, ich habe gestern an dich gedacht, und dann habe ich das hier
gemacht.« Sie reicht ihm das Bündel. »Du bist so oft allein, und da dachte ich,
etwas Gesellschaft könnte dir guttun.«
    Langsam wickelt er den Stoff ab. Ein grünes Zeichentrickwesen kommt
zum Vorschein, nur ein Kopf, so groß wie seine Faust, mit großen Augen und
Tentakeln. Es beginnt sich in seiner Hand zu bewegen und sieht sich neugierig
um. Es riecht leicht nach Wachs. Die Augen sind weiß, zwei schwarze Punkte
ersetzen die Pupillen.
    »Ich habe dieses alte Chemie-Bot-Modell gefunden und ihm ein
Biosynth-Gehirn eingesetzt. Du kannst ihm einen Namen geben. Und sag Bescheid,
wenn du doch noch auf einen Drink gehen willst.«
    »Danke«, sagt er. »Ich freue mich. Wirklich.« Ist
es das, was mich erwartet? Mitleid? Falsche Dankbarkeit?
    »Arbeite nicht zu viel.« Sie verschwindet wieder hinter ihrer
Gevulot-Wand.
    In seinem Zimmer setzt Isidore das Wesen auf den Fußboden und
denkt über die Einflüsse von Heian Kyo auf die Architektur der Monarchie nach.
Er kann sich besser konzentrieren, wenn er seine eigenen Sachen um sich hat,
zwei von den alten Skulpturen seines Vaters, seine Bücher und den großen
Tempmaterie-Drucker. Fußboden und Schreibtisch sind mit dreidimensionalen
imaginären und realen Bauzeichnungen zugeschüttet, und der Raum wird von einem
maßstabsgetreuen Modell der Ares-Kathedrale beherrscht. Das grüne Wesen
versteckt sich dahinter. Sehr schlau von dir, kleiner
Bursche. Die Welt da draußen ist groß und böse.
    Viele von seinen Kommilitonen sind vom Studium frustriert. Der
Exospeicher liefert bei aller Perfektion nur Kurzzeiterinnerungen. Tiefenlernen
erfordert immer noch annähernd zehntausend Stunden Arbeit am jeweiligen Thema.
Isidore stört das nicht: an einem guten Tag kann er sich stundenlang in die
Reinheit der Form versenken, Tempmaterie-Modelle von Gebäuden betrachten und
jedes Teil mit den Fingerspitzen ertasten.
    Er ruft einen Text über die Tendai-Sekte und den Daidairi-Palast
auf, beginnt zu lesen und wartet darauf, dass die Gegenwart um ihn herum
versinkt.
    Wie geht es dir, Liebster? Pixils Qupt
schreckt ihn auf. Er wird von einem euphorischen Freudenausbruch begleitet. Ich habe tolle Neuigkeiten. Alle fanden
dich hinreißend. Sie wollen, dass du wiederkommst. Ich habe mit meiner Mutter
gesprochen, und ich glaube, du bist einfach nur paranoid …
    Er reißt sich den Verschränkungsring vom Finger und wirft ihn weg.
Er hüpft zwischen den Gebäudemodellen hin und her. Das grüne Monster huscht
davon und versteckt sich unter seinem Bett. Er tritt mit dem Fuß nach der
Kathedrale. Ein Teil davon zerfällt zu träger Tempmaterie, weißer Staub steigt
auf. Er hört nicht auf damit, die Modelle zu zerstören, bis der Boden voller
Staub und Scherben ist.
    Dann setzt er sich zwischen die Trümmer und versucht, sie im Kopf
wieder zusammenzusetzen. Aber seine Gedanken gleiten immer wieder ab, und er
hat das Gefühl, als würden keine zwei Teile mehr zueinanderpassen.
    Am nächsten Tag ist Sol Martius, und Isidore besucht wie immer
seinen Vater im Land der Toten.
    Er steigt mit den anderen Trauernden schweigend die lange gewundene
Treppe des Hängenden Turms hinab. Seine Augen brennen noch von der schlaflosen
Nacht. Der Turm hängt wie eine Kristallzitze unter dem Bauch der Stadt. Auf dem
ganzen Weg können sie deren Schatten sehen, das langsame, rhythmische Heben und
Senken ihrer Beine. Über ihnen verschieben und verzahnen sich die Plattformen
mit jedem Schritt neu, wenn die Stadt ihre Gewichtsverteilung optimiert. Alles
ist vom Staub orangerot gefärbt. Das Licht von Phobos – einst ein Mond, der
durch die winzige Singularität in seinem Inneren zu einem Stern wurde –
verleiht der Welt eine eigentümlich zeitlose Dämmeratmosphäre.
    An diesem Morgen sind die Trauernden nicht sehr zahlreich. Vor
Isidore geht ein schwarzer Mann, dessen Rücken sich unter dem Gewicht seines
Quicksuits krümmt.
    Hin und wieder passieren sie eine Plattform, die mit einem reglosen,
maskierten Wiedererwecker besetzt ist. Die Staubwolke verhüllt die Schweiger,
die unter ihnen zugange sind, aber die Phoboi-Wälle sind sichtbar. Diese Mauern
erstrecken sich bis an den Horizont

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