Quantum
sobald das Taxi das Staubviertel
verlässt. Das Gevulot summt in seinem Kopf, und die Dinge haben wieder Struktur , sie sind nicht nur ätherische Geometrie, sondern
aus Stein, Holz und Metall.
Er frühstückt in einem kleinen Straßencafé, das sich Drachen zum
Motivthema gewählt hat. Mit Kaffee und einer kleinen Portion chinesischen Reisbreis
bekämpft er seine Müdigkeit; die Schuldgefühle verschwinden davon nicht.
Und dann sieht er die Zeitung. An einem Nebentisch liest ein älterer
Herr, dessen UHR an einer Messingkette in seiner
Weste steckt, den Ares-Boten . ZADDIK-JUNGE
FEIERT WILDE PARTY , schreit die Schlagzeile.
Zitternd fordert er von seinem Tisch ein Exemplar an, und die Kellnerdrohne
bringt es ihm. Da ist er, ein bewegtes Bild auf Papier, und er redet wie ein
Wasserfall über den Schokoladenmord und über seine Beziehung zu Pixil.
Wir stehen nun schon sehr lange unter dem Schutz
jener mächtigen Männer und Frauen, die sich Zaddikkim nennen; und jeder
Stammleser unserer Zeitung weiß, dass bei schwierigen Fällen auch sie der Hilfe
bedürfen. Wir brauchen den Leser wohl kaum an das Verschwinden von Schiaparelli
City oder den verschwundenen Liebhaber von Mlle. Lindgren zu erinnern, beides
Fälle, bei deren Aufklärung ein bislang unbekanntes Individuum eine
Schlüsselrolle spielte. Die als » sympathischer junger
Mann « beschriebene Person arbeitete mehrfach mit dem
Gentleman zusammen und löste Rätsel, vor denen der Zaddik kapitulierte.
Der Bote kann jetzt
enthüllen, dass dieser unbesungene Held niemand anders ist als Isidore
Beautrelet, ein zehn Jahre alter Architekturstudent. M. Beautrelet gab Ihrem ergebenen Korrespondenten vergangene Nacht bei einem
mondänen Fest im Staubviertel ein ungewöhnlich freimütiges Interview. Der junge
Detektiv war von einer jungen Dame eingeladen worden, zu der er schon seit
einiger Zeit eine romantische Beziehung unterhält –
Und dann die Bilder: eine Schwarz-Weiß-Aufnahme von ihm auf der
Zoku-Party: blass, mit offenem Mund, flackerndem Blick und zerrauftem Haar. Die
Erkenntnis, dass Menschen, mit denen er kein Gevulot geteilt hat, jetzt wissen,
wer er ist und was er getan hat, gibt ihm das Gefühl, beschmutzt zu sein. Der
Herr am Nebentisch sieht ihn plötzlich scharf an. Er bezahlt schnell, hüllt
sich in Privatsphäre und geht nach Hause.
Isidore teilt sich mit Lin, einer Mitstudentin, eine Wohnung in
einem der alten Türme am Rand des Labyrinths. Die Wohnung hat fünf Zimmer auf
zwei Etagen und ist hauptsächlich mit bunt zusammengewürfelten Möbeln aus
instabiler Tempmaterie eingerichtet. An den Wänden hängen abblätternde Tapeten,
die sich mit der Stimmung der Bewohner verändern. Als er eintritt, durchläuft
sie eine Welle, und dann zeigen sie ein eschereskes Muster aus
ineinandergreifenden schwarzen und weißen Vögeln.
Isidore geht unter die Dusche, dann macht er Kaffee. Die Küche – ein
hoher Raum mit einem Fabber und einem wackligen Tisch – hat ein großes Fenster
mit Blick auf die Dächer des Labyrinths und auf sonnenbeschienene Gassen
zwischen den Gebäuden. Er setzt sich eine Weile davor und versucht, seine
Gedanken zu ordnen. Lin ist auch da. Ihre animatronischen Figuren besetzen
wieder einmal den gesamten Küchentisch. Aber sie selbst hat wenigstens so viel
Anstand, sich hinter Gevulot zu verbergen.
Schon klopfen wegen des Artikels im Boten viele Mit-Erinnerungen an sein Bewusstsein; es ist wie Kopfschmerzen. Er möchte
am liebsten alles vergessen. Zumindest gibt es im Exospeicher keine
Erinnerungen an das Gespräch mit dem Reporter, an die man immer wieder stoßen
könnte wie an einen losen Zahn – ein kleiner Segen. Aber da ist ja auch noch
die Sache mit dem Zaddik. Daran nicht zu denken fällt schwerer.
Von Lin kommt eine Gevulot-Anfrage. Unwillig akzeptiert er und
gestattet seiner Mitbewohnerin, ihn zu sehen.
»Iz?«, fragt sie. Sie studiert traditionelle Animation und kommt aus
einer Kleinstadt im Nanedi-Tal. Ihr rundes Gesicht wirkt besorgt. Sie hat Farbe
im Haar.
»Ja?«
»Ich habe die Zeitung gesehen. Ich hatte keine Ahnung, dass du
hinter alldem steckst. Meine Cousine war in Schiaparelli.«
Isidore sagt dazu nichts. Er sieht ihren Gesichtsausdruck und
überlegt, ob er nachforschen sollte, was er bedeutet, aber wozu? Es hat ja doch
keinen Sinn.
»Ich hatte wirklich keine Ahnung. Aber es tut mir leid, dass du in
der Zeitung gelandet bist.« Sie setzt sich an den Tisch und beugt sich zu ihm.
»Alles in
Weitere Kostenlose Bücher