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Quantum

Quantum

Titel: Quantum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannu Rajaniemi
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berühmt ist, M. Beautrelet?«
    »Verzeihung, aber ich hatte bisher nicht das Vergnügen …« Wieder
macht er ein Gevulot-Angebot, um wenigstens ihren Namen zu erfahren; er ist
nicht einmal sicher, ob sie den seinen kennen oder sein Gesicht sehen sollte.
Aber sie ist von Privatsphäre umgeben wie von einer festen Mauer, die nur nach
einer Seite durchlässig ist.
    Sie winkt ab. »Das ist kein Höflichkeitsbesuch, M. Beautrelet.
Beantworten Sie einfach meine Frage.«
    Isidore betrachtet die Hände auf dem schwarz-weißen Bild. Sein schläfriges
Auge im Bild des Reporters lugt zwischen ihren Fingern hindurch.
    »Warum wollen Sie das wissen?«
    »Hätten Sie Lust, einen Fall zu lösen, mit dem Sie sich echten Ruhm erwerben könnten?« Ihr Lächeln hat etwas
Kindliches. »Mein Arbeitgeber beobachtet Sie schon seit Längerem. Und er hat
einen unfehlbaren Blick für Talente.«
    Isidore ist jetzt wach genug, um Schlussfolgerungen zu ziehen und
auf den Exospeicher zuzugreifen. Sie fühlt sich wohl in ihrem Körper, was
bedeutet, dass sie schon lange als Aristokratin lebt, zu lange vielleicht für
ihr jugendliches Aussehen. Sie hat einen ganz leichten Slowtown-Akzent, den sie
aber sorgfältig verbirgt. Allerdings nur so weit, dass er ihn dennoch bemerkt.
    »Wer sind Sie?«
    Sie faltet die Zeitung in der Mitte. »Das werden Sie erfahren, wenn
Sie unser Angebot annehmen.« Sie reicht ihm die Zeitung und mit ihr eine kleine
Mit-Erinnerung. »Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, M. Beautrelet.« Sie
steht langsam auf, wirft ihm wieder dieses strahlende Lächeln zu, verschwimmt
zu einem Gevulot-Fleck und verschwindet in der Menge.
    Isidore öffnet die Erinnerung, in seinem Bewusstsein blitzt etwas
auf, das ihm die ganze Zeit auf der Zunge gelegen hat. Ein Ort, eine Zeit. Und
ein Name.
    Jean le Flambeur.

0   Intermezzo:
    Willenskraft
    Es ist Isaacs Idee, in die Synagoge einzubrechen. Aber
Paul ist natürlich derjenige, der ihnen Zugang verschafft, indem er so lange
auf das Gevulot des schaufelförmigen weißen Gebäudes einredet, bis es ihnen
unter einem hohen, mit feinem Stuck verzierten Bogen eine seiner Türen zeigt.
    »Nach dir, Rabbi«, sagt Paul und stolpert fast, als er eine
übertrieben tiefe Verbeugung macht. Seine Wangen glühen.
    »Nein, nein, nach dir«, widerspricht Isaac. »Verdammt, nein, lass
uns gemeinsam hineingehen.« Er legt dem jungen Mann einen Arm um die Schultern,
und sie taumeln Seite an Seite in das Gotteshaus.
    Seit vierzehn Stunden betrinken sie sich. Isaac liebt es, wenn ihm
der Alkohol das Hirn vernebelt: Der elementare Rausch ist viel besser als bei
raffinierten Drogen. Der zunehmend kleinere nüchterne Teil seines Gehirns
erkennt darin nicht etwas Physisches, sondern ein Mem: Tausend Jahre einer
Kultur der Trunkenheit, der Bacchusverehrung sind in seinen Oubliette-Körper
eingegangen.
    Wichtig ist auf jeden Fall, dass die Welt um sie herum von einer
ganz eigenen, verdrehten Logik bestimmt wird. Und sein Herz soll währenddessen
so hart in seiner Brust schlagen, dass er am liebsten auf einen der
Phoboi-Wälle steigen und all den schwarzen Kreaturen der Marswüste seine
Herausforderung zuschreien würde; oder dass er sich mit Gott selbst anlegen
möchte, wie er es ursprünglich vorhatte.
    Doch in der Stille und Geborgenheit der Synagoge wird er wie immer
ganz klein. Das ewige Licht – eine helle Quantenpunkt-Sphäre – brennt über den
Türen des Thoraschreins, sein Schein mischt sich mit den ersten Morgenstrahlen,
die durch die hohen Buntglasfenster mit den blau-goldenen Mustern fallen.
    Isaac setzt sich auf einen der Stühle vor dem Lesepult, zieht seine
Feldflasche aus der Jackentasche und schüttelt sie. Es klingt, als wäre sie
halb leer. »Jetzt sind wir also hier«, sagt er zu Paul. »Was bedrückt dich?
Heraus mit der Sprache. Sonst haben wir ganz umsonst eine Menge guten Schnaps
verschwendet.«
    »Na schön. Aber erkläre mir zuerst: warum Religion?«, fragt Paul.
    Isaac lacht. »Warum Alkohol? Wenn man es mal probiert hat, ist es
schwer, wieder davon zu lassen.« Er macht die Flasche auf und nimmt einen
Schluck. Der Wodka brennt ihm auf der Zunge. »Außerdem ist diese Religion nur
etwas für Kämpfer, mein Freund: tausend willkürliche Vorschriften, die man
einfach akzeptieren muss, obwohl sie vollkommen irrational sind. Nichts von all
dem Kinderkram, von wegen, man bräuchte nur zu glauben, um gerettet zu werden.
Du solltest es mal damit versuchen.«
    »Danke, nein.« Paul

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