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Quantum

Quantum

Titel: Quantum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannu Rajaniemi
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und markieren den geplanten Weg der Stadt.
Sie begrenzen die Trasse mit neuem Leben in ihrem Kielwasser, den Pinselstrich
aus Biosynth-Feldern und Terraforming-Maschinen. Die Stadt ist wie ihre Brüder
und Schwestern bemüht, den Mars neu zu begrünen. Aber die Phoboi haben immer
das letzte Wort.
    Am Fuß des Turmes warten Fahrstühle. Die Gäste bekommen von den
Wiedererweckern Leuchtkäfer als Führer und werden streng ermahnt, bis zum
Mittag wieder zurück zu sein. Einer von ihnen hilft Isidore, seinen Quicksuit
anzulegen, ein Oubliette-Produkt aus modernen, programmierbaren Materialien,
bei dem man leider viel zu großen Wert auf das Design gelegt und so viel
Messing und Leder verarbeitet hat, dass das Ding aussieht wie ein antiker
Taucheranzug. Mit den plumpen Handschuhen kann Isidore kaum den Blumenstrauß
halten, den er mitgebracht hat. Alle drängen sich durch eine Luftschleuse in
die Kabine – eine einfache, an Nanofilamenten hängende Plattform – und
schweben, mit den Bewegungen der Stadt hin und her schwingend, durch den
orangefarbenen Nebel in die Tiefe. Sobald die Gestalten in ihren
glockenförmigen Helmen die Oberfläche erreicht haben, laufen sie in Zeitlupe
hinter ihren jeweiligen Leuchtkäfern her.
    Über ihnen dräut die Stadt, eine gewaltige Masse, wie ein zweiter,
schwerer Himmel mit Fugen und Nahtstellen, wo die verschiedenen Plattformen
aneinanderstoßen. Das Ganze bewegt sich langsam wie ein Uhrwerk. Von hier unten
betrachtet erscheinen die Beine – ein Wald aus mehrgelenkigen Säulen – zu
schwach, um die Stadt zu halten. Der Gedanke, der Himmel könnte ihm auf den
Kopf fallen, bereitet Isidore Unbehagen, und nach einer Weile richtet er seinen
Blick lieber auf den Leuchtkäfer.
    Die Schweiger haben mit ihren Beinen, Raupenketten und anderen
Fortbewegungsmitteln den Sand festgestampft. Sie sind hier überall, winzig
kleine Dinger, die vor seinen Füßen auseinanderspritzen, als wäre er eine
Riesenstadt, die über ihre Landschaft schreitet. Herden von
Terraforming-Schweigern, größer als ein Mann, schuften auf den Algenfeldern und
auf dem Regolith. Als ein Atlas-Schweiger vorüberstapft, erbebt die Erde. Die
sechsbeinige Raupe, höher als ein Wolkenkratzer, hat die Aufgabe, das
Gleichgewicht eines Stadtbeins zu korrigieren oder sich zu vergewissern, dass
der Boden sicher ist, wenn es das nächste Mal aufsetzt. In der Ferne sieht
Isidore einen Lufterzeuger, eine Fabrik auf Gleisketten, eine eigene kleine
Stadt, umringt von einer Wolke aus fliegenden Schweigern. Aber der Leuchtkäfer
lässt ihn nirgendwo innehalten. Er führt ihn in rasantem Tempo über den
Schatten der Stadt hinaus nach oben, wo sein Vater beim Bau von Phoboi-Wällen
hilft.
    Sein Vater ist zehn Meter groß und hat einen lang gestreckten
Insektenkörper. Er wühlt sich mit lautem Knirschen in den Marsregolith und
leitet das pulverisierte Gestein durch ein chemisches Aufbereitungssystem, wo
es mit Biosynth-Bakterien gemischt und in Baumaterial verwandelt wird. Dann
formt er mit einem Dutzend sehr dünner und schneller Gliedmaßen den
Materialstrom, der aus seinem schnabelförmigen Mund kommt, und streicht ihn
Schicht um Schicht auf die Mauer. Sein metallisch glänzender Panzer wirkt im
orangeroten Licht wie verrostet. An einer Seite bildet sich in einer Vertiefung
der Ansatz einer weiteren Gliedmaße: die Erinnerung an den jüngsten Kampf gegen
die Phoboi.
    Er arbeitet Seite an Seite mit hundert anderen; einige stellen sich
aufeinander, um die Wand immer noch höher zu machen. Doch der Abschnitt, an dem
sein Vater arbeitet, sieht anders aus. Er ist voller Gesichter, Reliefs und
Formen. Viele davon werden gleich wieder von den kleineren
Mechaniker-Schweigern zerschlagen, die die Artillerie in die Mauer einbauen.
Aber das scheint Isidores Vater nicht zu stören.
    »Vater«, sagt Isidore.
    Der Schweiger unterbricht seine Arbeit und wendet sich ihm langsam
zu. Sein Metallpanzer kühlt mit Knacken und Knistern ab. Isidore fröstelt wie
jedes Mal vor Angst bei der Vorstellung, dass eines Tages auch er in seinem solchen Körper stecken wird. Sein Vater ragt
im orangeroten Staub wie ein Messerbaum vor ihm auf, die Mechanik seiner Hände
kommt langsam zum Stillstand.
    »Ich habe dir Blumen mitgebracht«, sagt Isidore. Der Strauß enthält
vor allem hohe Argyre-Lilien, die Lieblingsblumen seines Vaters, und Isidore
legt ihn vorsichtig auf den Boden. Sein Vater hebt ihn übertrieben behutsam
auf. Wieder drehen sich die Klingen an

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