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Quarantäne

Quarantäne

Titel: Quarantäne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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oder?«
    Er findet das gar nicht komisch. »Die Liga hat beträchtliche Unkosten; das Modul, das Sie verschmieren läßt, ist noch nicht einmal ganz bezahlt.«
    »Ach ja… Und wenn Sie erst den Eigenzustandsgenerator haben, dann brauchen Sie mich überhaupt nicht mehr – habe ich recht? Da muß ich doch meine Trumpfkarte ausnutzen, bevor es zu spät ist.« Als ich den Satz begonnen habe, war es noch immer ein Scherz – jetzt nicht mehr. »Ist es das, was die wahre INITIATIVE für Sie bedeutet? Eine Möglichkeit, mit dem Knacken von Codes Geld zu verdienen?«
    Er sagt nichts, er leugnet es nicht ab. Aber er sieht mich an mit seinen Augen, in denen sich wieder einmal tiefste Gewissensqual spiegelt.
    Ich habe Grund, ernstlich böse zu sein. Böse, weil er mich täuschen wollte. Sehr, sehr böse, weil er die INITIATIVE beschmutzt. Aber die Wahrheit ist, daß nach all dem hirnverbrannten Eifer, den das Loyalitätsmodul in den Köpfen der Streiter für die INITIATIVE erzeugt hat – mich eingeschlossen –, dieser alberne Opportunismus fast… erfrischend wirkt. Ich sollte empört sein – ich bin es nicht. Wenn ich etwas fühle, dann höchstens ein wenig Neid: weil er seine >Ketten< immerhin so weit lockern konnte, daß sie bedeutungslos geworden sind. Wenn er früher einmal nicht gerade ein Heiliger war – ein Mensch, der nie auf den Gedanken gekommen wäre, von einem Unternehmen wie der INITIATIVE persönlich zu profitieren –, dann war jetzt wohl seine ursprüngliche Persönlichkeit weitgehend wiederhergestellt.
    Da ich Grund habe, ihn zu beneiden, zu bewundern, liegt die Konsequenz sehr nahe – aber nur scheinbar. Weil ich weiß, was ein Loyalitätsmodul ist, kann ich nicht umhin, festzustellen, daß Lui praktisch frei davon ist. Was noch lange nicht bedeutet, daß ich ebenso frei sein möchte.
    Er sagt: »Ich gebe Ihnen dreißig Prozent.«
    »Sechzig.«
    »Fünfzig.«
    »Einverstanden.« Das Geld interessiert mich nicht im geringsten, es ist eine Frage des Stolzes: Ich möchte ihm klarmachen, daß auch ich fast ein richtiger Mensch bin. »Wer in der Liga weiß davon?«
    »Niemand. Verstehen Sie das nicht falsch: Ich werde sie informieren, im nachhinein. Ich werde sie vor vollendete Tatsachen stellen und bin sicher, daß sie zustimmen werden: Wir brauchen Geld… Doch habe ich keine Lust, über die Einzelheiten zu streiten.«
    »Sehr klug.«
    Er nickt müde. Es ist der Lui, den ich kenne, dessen Aura von Schuld und Unsicherheit mich so stark beeindruckt. Nur weiß ich jetzt, daß diese Aura etwas anderes bedeutet; zur Hälfte ist es bloße Affektiertheit, und der Rest ist nichts weiter als Erschöpfung – wie sie ganz unvermeidlich ist, wenn man ein so vielschichtiges Lügengewebe so lange Zeit aufrechterhalten will. Ich fühle mich trotzdem nicht hintergangen, das ist wahr; daß er mich so lange täuschte und so gründlich, macht die Entdeckung seiner Normalität um so willkommener.
     
    Ich bleibe erst einmal zehn Minuten verschmiert, bevor ich das schwarze Kästchen aus der Tasche nehme – meine schon zur Gewohnheit gewordenen Vorsichtsmaßnahme, damit ich nicht so leicht in Panik gerate, wenn die Illusion des freien Willens schwindet. Die Leuchtdiode ist tot. Ich starre sie einige Zeit an, aber nichts geschieht. Ich bin etwas irritiert, denn die Wahrscheinlichkeit einer Fehlfunktion, die das Licht einfach so aufleuchten läßt, kann so klein nicht sein – warum hat mein verschmiertes Ich nicht längst einen Zustand ausgewählt, in dem es passiert? Vielleicht ist es vorsichtig genug, erst einmal das Entstehen von Zuständen mit einem funktionierenden Computer und dem richtigen Ergebnis abzuwarten und nicht nach der erstbesten Scheinlösung zu greifen.
    Ich langweile mich; später wechseln sich Phasen von Nervosität und Langeweile ab. Ich wünschte, ich könnte E3 benutzen. Eigentlich müßte »ich« seine Funktion nachahmen können – durch die Auswahl eines Zustands, in dem ich mich so fühle, als wäre ich aktiviert. Doch mein verschmiertes Ich scheint sich nicht darum zu kümmern. So halb erwarte ich auch, von einem Schrei Po-kwais unterbrochen zu werden. Aber immer, wenn ich sie aufgeweckt habe, gab es einen deutlich erkennbaren Auslöser: ein starkes Gefühl, ein Schock. Auf ein schwarzes Kästchen zu starren, auf das Aufleuchten eines Lämpchens zu warten, gehörte wohl nicht dazu. Und morgen? Wenn ich es fertigbringe, ruhig zu bleiben, dann wird vermutlich nichts passieren… was auch immer >ruhig

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