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Quarantäne

Quarantäne

Titel: Quarantäne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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dafür, daß ich schließlich einen solchen Zustand wählen konnte.
    Also warte ich wie ein gewöhnlicher Mensch: voller Ängste und unnötiger Befürchtungen, immer das Schlimmste vor Augen. Was könnte denn passieren? Wenn der ganze Planet verschmierte, auf Dauer… was würden die Menschen dabei empfinden? Nichts – weil es keinen Kollaps gibt, der die Dinge erst wirklich werden läßt? Oder alles – weil es keinen Kollaps mehr gibt, der über Wirklichkeit und Unwirklichkeit entscheidet? Und wenn alles, würden sie dann jede Wirklichkeit getrennt erleben – für jeden Eigenzustand ein eigenes Bewußtsein – oder alles zusammen, eine einzige lärmende Symphonie von ineinandergewobenen Wirklichkeiten? Was immer ich durchgemacht habe – oder wenigstens jene Person, die den Kollaps überlebte –, könnte völlig verschieden von dem sein, was uns nun erwartet, wenn das Kollabieren für immer ausgeschlossen ist. Es gibt keine Möglichkeit mehr, die Vergangenheit im nachhinein einzigartig zu machen, und unsere Wahrnehmung könnte sich dadurch grundlegend ändern.
    Aber wie auch immer, eines darf ich nicht zulassen: Lui darf sein Werk nicht vollenden.
    Ich will nur hoffen, daß mein verschmiertes Ich derselben Meinung ist.
     
    Die Frau hinter dem Ladentisch fragt nicht, was ich denn so ungeheuer Wichtiges vorhabe. Ich überweise das Geld. Sie gibt mir die Phiole, und ich sprühe mir die Kultur sofort in die Nase.
    Sie sagt: »Ich hoffe, Sie beehren uns einmal wieder.«
    Ich nehme die Finger von der zugeklemmten Nase. »Das glaube ich kaum.«
    Ich schniefe zweimal. Ein Tropfen fällt zu Boden.
    Während ich durch die Gasse gehe, weise ich Utility an, mich sofort zu informieren, wenn Initiative Funktionsbereitschaft meldet. Das Expertensystem war der Meinung, daß die Installation etwa zwei bis drei Stunden dauern würde, je nach anatomischen Voraussetzungen des Benutzers.
    Zurück auf der Hauptstraße wird man fast erschlagen von den zahllosen Reklamehologrammen vor den Läden. Fotorealismus ist aus der Mode, heute muß jeder Schuh, jeder Kochtopf aus gleißendem Licht bestehen. Ich strecke den Arm aus und lasse meine Hand durch das rotierende Vorderrad eines Fahrrads gleiten, erwarte fast, daß die glühend weißen Speichen durch mein Fleisch dringen.
    Ich bleibe eine Weile stehen und beobachte die Menschenströme. Ich könnte mich noch immer aus allem heraushalten. Ich könnte in zwei Stunden am anderen Ende der Welt sein. Vielleicht hat Laura sich geirrt, vielleicht läßt sich das, was hier passieren wird, durchaus eindämmen, irgendwie. Eines ist sicher: Sobald es Anzeichen einer Epidemie geben wird, wird man die Grenzen schließen…
    Und wie soll das ein Schutz sein vor Leuten, die einfach durch Hindernisse hindurchtunneln? Was werden sie überhaupt tun? Werden sie die Stadt in einem Schwarzen Loch verschwinden lassen? Ihre eigene Barriere bauen?
    Karen sagt: >Du hast das Modul schon einmal gestohlen, du kannst es wieder tun. Was könnte Lui denn tun, um dich aufzuhalten, wenn BDI dich nicht aufhalten konnte?<
    »Und wenn er den Teufel schon aus der Flasche gelassen hat?«
    >Du weißt nicht, ob er es getan hat.<
    »Ich weiß nicht, ob er es nicht getan hat.«
    Ich starre zum Himmel und wieder einmal wird mir schwindlig. In Wahrheit ist die Barriere nicht unser Gefängnis – sie hat es nur sichtbar gemacht. Der Schock rührte nicht von dem Bewußtsein, eingeschlossen zu sein. Der Schock kam daher, daß wir gezwungen wurden, einmal die Alternative zu betrachten: die unendliche Vielfalt, die uns erwartete.
    Ich sage: »Ich glaube, ich kriege die Barrieren-Phobie.«
    Karen schüttelt den Kopf. >Barrieren-Phobie ist leider ganz außer Mode gekommen.<
     
    Ich habe keine andere Wahl, als abzuwarten, bis Initiative endlich so weit ist – das heißt aber nicht, daß ich mich nicht schon um Mittel und Wege kümmern könnte, um Lui zu finden. Zurück in meiner Wohnung schreibe ich ein kleines Programm für von Neumann, das als Input nichts weiter als eine einzelne, sechsstellige Zahl braucht, nachdem es mit Hilfe der geographischen Daten von Déjà-vu die gesamte über der Wasserlinie liegende Fläche der Stadt in Parzellen von fünfundvierzig Quadratmetern aufgeteilt hat. Ich brauche eine Weile, um zu entscheiden, welche Kategorien von Land ich außerdem noch ausschließen soll; es gibt eine Menge nutzbares Land, auf dem eine Suche höchstwahrscheinlich sinnlos ist – aber ich weiß einfach nicht, wo ich die Grenze

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