Quarantäne
meiner Hotelrechnung erreiche ich nicht einmal den üblichen Touristendurchschnitt. Wenn ich nicht irgend etwas kaufe, werden sie mich nie wieder ins Land lassen. Der Computer der Handelskammer wird mich auf die Schwarze Liste setzen.«
>Wie wär’s mit einem Horoskop?< Mit einem Nicken deutet sie auf die Bude eines Astrologen ein paar Schritte weiter.
Mein Magen verkrampft sich. »Seit wann kümmerst du dich um solchen Blödsinn?« Vor mir dreht sich ein Junge um und starrt mich an, der ich mit einem Geist zu reden scheine. Sein Freund zieht ihn am Ellbogen beiseite und flüstert ihm eine Erklärung zu.
>Tu ich nicht. Mach es, weil mir danach ist.<
Ich mustere die Bude und kann mir einen kurzen, gequälten Lacher abringen. »Astrologie… ohne daß man einen Schimmer von den verfluchten Sternen sieht. Das sagt doch alles!«
Ihre Miene ist undurchdringlich. >Tu es für mich.<
Jede Faser meines Herzens sträubt sich, aber ganz ruhig sage ich: »Okay. Du willst ein Horoskop, ich kaufe ein Horoskop. Zehnter April.«
Sie schüttelt den Kopf. >Nicht meines, Dummkopf. Lauras Horoskop.<
Ich starre sie fassungslos an, dann zucke ich mit den Schultern. Es hat keinen Sinn, mit ihr zu streiten. Ich habe noch immer die Hilgemann-Akten im Kopf. Lauras Geburtsdatum ist der dritte August 2035.
Der Astrologe entpuppt sich als ein kleines Mädchen von vier oder fünf Jahren. Der Schädel ist kahlrasiert, sie trägt ein kunstseidenes Kleid und ist über und über mit Glasperlen behängt. Mit gekreuzten Beinen sitzt sie auf einem Kissen und schreibt mit einem Bambuskiel auf Pergamentimitat. Die kunstvollen Schriftzeichen fließen ihr verblüffend schnell, doch makellos aus der Hand; dieses Modul muß ein Vermögen gekostet haben, manuelle Fertigkeiten sind nicht billig zu bekommen. Sie wendet das vollgeschriebene Blatt und schreibt das Ganze noch einmal auf Englisch auf die Rückseite. Ich gebe ihr meine Kreditkarte und lege den Daumen auf das Lesefeld des Automaten. Als ich das Stück Pergament nehme, legt sie die Hände vor der Brust zusammen und verbeugt sich.
Karen ist verschwunden. Ich lese das Horoskop, das sich auf den üblichen Nenner von geschäftlichem Erfolg und Glück in der Liebe (nach überstandenen Widrigkeiten) bringen läßt. Ich knülle das Blatt zusammen und werfe es in den nächsten Abfallkorb. Ich mache mich auf den Weg zurück ins Hotel.
Ich rufe Bella an, lasse mir die Auftragslisten der Pharmahändler geben und mache mich auf die Suche nach einer Spur. Zu dem hoteleigenen Terminal auf meinem Zimmer habe ich kein Vertrauen, also mache ich die Arbeit im Kopf. Zu Chiffre gehört auch ein virtuelles Terminal, an dem man arbeiten kann wie an jedem beliebigen Computer.
Pangloss hat mir fünf Gruppen von Medikamenten genannt. Hundertundneun verschiedene Kunden haben mindestens eines aus jeder der fünf Gruppen geordert. Ich sehe mir die Kunden im elektronischen Telefonbuch etwas genauer an. Nicht überraschend, daß es sich Mal um Mal entweder um ein großes Krankenhaus mit einer orthopädischen Abteilung oder um eine Privatklinik für kosmetische Chirurgie handelt. Solche Kliniken führten genau jene Prozeduren aus, die man an Laura vorgenommen hatte. Korrekturen an Nase, Wangen, Händen, Rückenwirbeln; Entfernen von Rippen, Verlängern oder Kürzen von Gliedmaßen – mir ist nie ganz klar geworden, warum die Leute diese Art von Verstümmelung auf sich nehmen, nur um chic zu sein, doch lächeln mir aus dem Telefonverzeichnis Dutzende zufriedener Kunden entgegen, die mir gerade diese oder jene Klinik ganz besonders ans Herz legen wollen.
In einer solchen Privatklinik ließ sich Laura ganz gut verstecken; mit einer adäquaten Summe konnte man auch etwaige Bedenken zerstreuen. Doch bedeutet jeder Außenstehende bei einer solchen Entführung ein Risiko. Besser wäre es, alles selber zu machen, anstatt sich unzuverlässige Amateure oder potentielle Informanten aufzuhalsen.
Was den dreiundneunzigsten Namen auf der Liste, Biomedical Development International, betrifft, gibt sich das Telefonbuch recht verschlossen. Eine Computergrafik mit dem Firmenzeichen erscheint – die Buchstaben B-D-I aus chromglänzenden Röhren, die unablässig rotieren und unwirklich intensive Lichtreflexe in alle Richtungen werfen. Auch die eine Textzeile darunter verrät nicht viel: Auftragsforschung in Biotechnik, Neurotechnik und Pharmakologie.
Ohne große Begeisterung nehme ich mir noch die übrigen Namen vor, doch
Weitere Kostenlose Bücher