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Quarantäne

Quarantäne

Titel: Quarantäne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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davon berichtete, klang oft mehr nach Polizeiarbeit als das, was ich tat. Beide waren wir an einem toten Punkt unserer Karriere angelangt; ihr Examen an der medizinischen Hochschule lag nun zehn Jahre zurück, ich trug die Uniform seit vierzehn Jahren. Beide hatten wir das Gefühl, daß wir drauf und dran waren, unsere letzte Chance zu verpassen.
    Weder Ankläger noch Verteidiger wollten Duprey im Zeugenstand sehen; er sollte keine Gelegenheit haben, seine Jünger zu noch größerem Eifer anzustacheln. Darum wurde die Frage nach dem Motiv auch nur am Rande behandelt. Der Nachweis, daß er die Bakterienkultur bei einem Waffenhändler gekauft hatte (der als Zeuge der Anklage auftrat), war mühsam und kompliziert, doch konnte man vernünftigerweise nicht daran zweifeln. Monat um Monat schleppte sich der Prozeß dahin, doch war das Ergebnis abzusehen.
    Der Halley-Komet des Jahres 2061 war, von der Erde aus gesehen, nicht sonderlich beeindruckend. Die Bahn lag etwas ungünstig; wollte man ihn am erdnächsten Punkt beobachten, dann blickte man zugleich in die Sonne, von welchem Ort des Planeten man es auch versuchte. Doch hatten sich einige Sonden mit Fusionstriebwerken an seine Fersen geheftet, die man mühelos auf Kollisionskurs bringen konnte. Außerdem gelang es, einige im Raum umherschwirrende Oldtimer zu reaktivieren, Teleskope auf erdfernen Umlaufbahnen, die lange vor der Barriere schon existiert hatten. Die Bilder waren atemberaubend, und zwei Monate lang, im Juni und Juli, beherrschten zwei Themen im steten Wechsel die abendlichen Fernsehnachrichten. Man sah entweder den Kometen mit dem gelbweißen Schweif, den blauen Plasmaströmen aus dem Kometenkopf, der aus den Abgründen des Alls hin zur Sonne raste – oder Marcus Duprey, der ohne jede Regung in einem Gerichtssaal des Staates Maine saß.
    Am vierten August wurde Duprey zu sechzigtausendachthundertundvierzig Jahren Gefängnis verurteilt. Er war lediglich für das Hartshaw-Mässaker verurteilt worden, doch war es in den beiden Jahren zuvor gelungen, in verschiedenen Städten Agenten bei den Kindern einzuschleusen, so daß schließlich sechzehn Mitglieder des inneren Zirkels verhaftet werden konnten. Das Zeitalter des Chaos ist zu Ende! lautete eine Zeitungsschlagzeile. Auf dem Bild darüber sah man eine Voodoo-Puppe mit dem Gesicht Dupreys, durchbohrt von sechzehn Nadeln, und Blut strömte aus jeder Wunde.
    Am vierten September wurden drei der Geschworenen ermordet (die anderen wurden umgehend in Schutzhaft genommen und erhielten dann neue Identitäten nach dem Zeugenschutzprogramm; zwei von ihnen hat es in der Zwischenzeit trotzdem erwischt).
    Am vierten Oktober überlebte die Vorsitzende Richterin ein Bombenattentat, bei dem ihr Haus zerstört wurde. Der Staatsanwalt und sein Leibwächter wurden in einem Fahrstuhl erschossen.
    Am vierten November wurde der Gerichtssaal, in dem Duprey verurteilt worden war, durch eine Explosion zerstört. Sechzehn Menschen starben.
    Warum waren so viele Menschen bereit, Duprey zu folgen und ihn zu rächen? Unter denen, die man verhaftet hatte, waren Psychopathen, die irgendwann auch aus anderen Gründen – oder ganz ohne – getötet hätten; die Kinder hatten ihnen nur einen Vorwand geliefert und Zugang zu Waffen und Sprengstoff verschafft. Bei der Mehrzahl war das jedoch anders. Sie waren Kinder des Chaos geworden, weil sie einfach nicht hinnehmen konnten, daß die Sterne erloschen waren – und daß es nichts bedeuten sollte, daß es nichts änderte. Duprey verkündete, daß nun das Ende jeder Ordnung, jeder Moral gekommen sei, und hatte damit an den Grundfesten der Zivilisation gerüttelt. Aber erhielt so das Leben nicht neuen Sinn? Man mußte doch nur die Zeichen der Zeit erkennen, die Botschaft am Himmel zu lesen verstehen. Und so schluckten sie eben, was ihr Prophet verkündete. Doch kann man das Ende der Welt, die Auflösung jeder Ordnung nicht durch einen Blick ins Teleskop bestätigen; es gibt keinen Apparat, der einem dabei behilflich ist. Will man daran glauben, weil man diese Wahrheit dringender braucht als irgend etwas sonst, dann muß man sie wahrmachen – mit eigenen Händen.
    Als der siebenundzwanzigste Jahrestag der Barriere heranrückte, gab es wohl keine Stadt auf der ganzen Welt, in der die Spannung nicht mit Händen zu greifen war. Die Kinder hatten es auf jene Leute abgesehen, die Duprey ins Gefängnis gebracht hatten, doch töteten sie, wie die Erfahrung gezeigt hatte, auch willkürlich – das galt

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