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Quarantäne

Quarantäne

Titel: Quarantäne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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unvergeßlich machte, daß er eine Kultur giftiger Bakterien in das Trinkwasserreservoir von Hartshaw kippte. Seine Klassenlehrer aus der dritten und siebten Klasse, die zu ihrem Glück nicht mehr in dem Städtchen wohnten, konnten sich kaum noch an ihn erinnern. Überlebende Klassenkameraden beschrieben ihn als still und etwas scheu und nicht besonders fleißig. Doch war er nicht introvertiert genug, um von den Mitschülern gehänselt zu werden. Charisma? Überzeugungskraft? Eine Führernatur? Ein Prophet etwa? Ganz und gar nicht.
    Auch die Computer wußten nicht viel über ihn zu sagen. Die Eltern waren Atheisten. Dupreys Schulleistungen waren mittelmäßig, sein Verhalten unauffällig, zumindest fanden sich keine Beanstandungen. Nach der High School wurde er beim örtlichen Wasserwerk angestellt, wo ihm einfache Wartungsarbeiten übertragen waren. Zweifellos hatte er in seiner Jugend regen Gebrauch von den verfügbaren elektronischen Bibliotheken gemacht, aber da die Benutzerdaten in der Regel nur für einige Monate gespeichert werden, konnte man zu dem Zeitpunkt, als alle Welt sich für Dupreys Lektüre und ihre möglichen Auswirkungen interessierte, keinerlei Hinweise darauf finden. Wenn er jemals Bücher oder ROMs besessen hatte, dann hatte er sie mitgenommen, als er floh. In seinem gemieteten Zimmer fand man jedenfalls kein einziges Stück seiner persönlichen Habe. (Womit hätte man denn dreitausend Tote erklären wollen? Mit Büchern über Charles Manson oder Reverend Jones? Mit Tagebüchern, randvoll mit krankhaften Pubertätsträumen? Durch Tarotkarten, astrologische Tabellen, durch Pentagramme, die mit Blut auf den Fußboden gemalt waren?)
    Es dauerte mehr als sechs Jahre, bis man Duprey faßte. Er hatte sich in einer ländlichen Gegend der Provinz Quebec versteckt. Zu dieser Zeit besaß er schon eine Gefolgschaft, die bis in die letzten Winkel des Planeten reichte. Sie sprengten Züge und Häuser in die Luft, vergifteten Konserven, schossen willkürlich auf die Menschen in den Straßen. Sie töteten ohne bestimmte Absicht. Doch als ein Kommando sechs Mitglieder eines europäischen Barrieren-Forschungsteams ermordet hatte, ahmten andere Jünger das nach. Barrieren-Forschung, sagen die Kinder der Chaos, ist der Gipfel der Blasphemie. Nicht ohne Grund, denn eine vernünftige Erklärung, was es mit der Barriere auf sich hat, entzöge ihren Spekulationen den Boden. Der leere Himmel wäre nicht länger das kosmische Vorzeichen für das Zeitalter des Chaos, dem sie dienstbeflissen ein wenig nachhelfen wollen. Duprey, so befanden die Psychiater, war für seine Taten verantwortlich. Er war nicht schizophren, litt nicht an Verfolgungswahn. Er hörte keine Stimmen, hatte keine Visionen, kurz, sein Realitätsverlust war nicht ausgeprägter als der anderer Religionsgründer auch. Ich hatte einmal das Protokoll einer psychiatrischen Befragung in den Händen, das irgendwie publik geworden war. Als man ihn direkt fragte, ob er den Massenmord von Hartshaw als gute oder böse Tat einstufen würde, antwortete er, daß ihm diese Begriffe zwar vertraut wären, daß sie ihm aber nicht länger nützlich erschienen. >Sie sind Überbleibsel aus der Frühzeit des Universums, das Produkt einer gestörten Symmetrie, die nun wiederhergestellt ist. Gut und Böse sind eins geworden, eine einheitliche Größe. Die Gegensätze haben sich aufgelöst.< So ähnlich klang auch alles andere, was er sagte. Hochtrabende Metaphern aus Wissenschaft und Theologie, aus dem Zusammenhang gerissen und in einen Topf geworfen, ad absurdum geführt und zur heiligen Wahrheit erklärt. Hohle Phrasen. Ein Brei aus Quantenphysik, Populärastronomie, Mutter-Erde-Schwulst und sektiererischem Ökogeschwätz, östlicher Mystik und westlicher Eschatologie. Duprey, der Allesfresser, hatte es sich einverleibt, nun mußte es wieder heraus. Und wenn schon nicht die Ideen wieder zum Vorschein kamen, dann doch wenigstens der Jargon. Die Psychiater hatten keinen Namen für diesen Zustand, doch reichte es sicher nicht hin, um den Mann für unzurechnungsfähig zu erklären.
    Zusammen mit Karen sah ich mir am frühen Morgen die Live-Übertragungen aus dem Gerichtssaal an. Damals hatten wir es endlich geschafft, unsere Arbeitszeiten zu synchronisieren. Ich hatte mich für eine Antiterror-Einheit beworben, weshalb ich soviel wie möglich über die Kinder erfahren wollte. Karen arbeitete in der Notaufnahme des Zentralkrankenhauses für die nördlichen Vororte – und was sie

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