Quarantaene
Alley immer noch ein bisschen fror, gab dem heißen Essen den Vorzug. Die Luft in der Cafeteria war angenehm feuchtwarm, der Geruch aus der Küche intensiv und beruhigend.
»Ich bin schon ziemlich lange dabei in diesem Geschäft«, sagte Charlie. »Nicht, dass es irgendwelche Anfänger gäbe am Lake, abgesehen von den Examensstudenten, die wir hier immer wieder haben. Hat Ari Ihnen erzählt, dass ich am Berkeley Lab bei Dr. Gupta war?«
Tommy Gupta hatte Pionierarbeit im Bereich sich selbst entwickelnder neuronaler Netze und Quantenschnittstellen geleistet. »Sie müssen damals selbst noch Student gewesen sein.«
»Jawoll. Und danke, dass Sie’s gemerkt haben. Das war zu der Zeit, als wir Butov-Chips als Logikelemente verwendet haben. Interessante Zeit, wenn auch keiner sich vorstellen konnte, wie interessant es noch werden würde.«
»Die astronomische Anwendung«, sagte Chris, »waren Sie da auch noch dabei?«
»Ein kleines bisschen. Aber das kam natürlich alles ganz unerwartet.«
Eigentlich benötigte Chris diese Rückschau nicht. Die Geschichte war bekannt, und jeder Journalist, der im Bereich von allgemeiner Astronomie und Populärwissenschaften arbeitete, hatte sie in den letzten Jahren in dieser oder jener Version bereits erzählt. Im Grunde, dachte er, war es nur das letzte Kapitel im ewigen Streben der Menschheit, das Unsichtbare zu sehen, ausgeschmückt mit der Technologie des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Begonnen hatte es, als die erste Generation der von der NASA ins All geschickten Beobachtungsstationen, die sogenannten Terrestrischen Planetenfinder, drei vermutlich erdähnliche Planeten entdeckten, die um nahe sonnenähnliche Sterne kreisten. Die TPFs wurden von den hochauflösenden Interferometern beerbt und diese wiederum von dem größten aller Projekte um optische Interferometer, dem Galileo-Array, sechs kleinen, aber komplexen automatisierten Raumschiffen, die alle außerhalb der Umlaufbahn des Jupiters operierten, miteinander vernetzt, um ein virtuelles Teleskop mit einer ungeheuren Auflösung zu bilden. Das Galileo-Array, so wurde seinerzeit gesagt, könne die Umrisse der Kontinente auf Welten nachzeichnen, die hunderte von Lichtjahren entfernt sind.
Und es hatte funktioniert. Für eine Weile. Dann begann die Telemetrie aus dem Array sich zu verschlechtern.
Das Signal wurde über Monate hin langsam, aber unaufhaltsam schwächer. Nach intensiven Nachforschungen lokalisierte die NASA als Ursache des Versagens einige wenige Zeilen fehlerhaften Codes, die jedoch so tief ins Bordgefüge der Galileo-Raumschiffe eingebettet waren, dass sie nicht überschrieben werden konnten. Dies war ein Risiko, mit dem die NASA von Beginn an hatte leben müssen. Das Array war sowohl hochkomplex als auch vollkommen unzugänglich. Es konnte nicht vor Ort repariert werden. Ein epochaler Triumph der Technik stand im Begriff, zu einem irrsinnig teuren Witz zu werden.
»Die NASA hatte damals keinen O/BEK-Prozessor«, sagte Charlie, »aber Gencorp bot ihnen Zugang zu ihrem Prozessor an.«
»Sie haben bei Gencorp gearbeitet?«
»Als Babysitter für die Hardware, ja. Gencorp erzielte gute Ergebnisse mit ihrer Proteomik. Man konnte das Gleiche natürlich auch mit einer normalen Quantenanordnung machen. Viele Ingenieure pflegten die O/BEKs für unnötig kompliziert und unberechenbar zu halten, hochgestochener Murks sozusagen – wie ein Staubsauger mit Anhängsel, hieß es damals. Aber gegen Ergebnisse lässt sich schwer anstinken. Gencorp erzielte schnellere Resultate mit der O/BEK-Maschine, als das MIT sie aus ihren Standard-BEK-Geräten herauslocken konnte. Unheimliche noch dazu.«
»Unheimliche?«
»Unerwartete. Kontraintuitive. Jeder, der mit adaptiver Selbstprogrammierung arbeitet, wird Ihnen sagen, dass es anders ist, als wenn man reine BEKs betreibt, und schon die können mitunter ganz schön seltsam sein. Ein O/BEK – und das kann ich im Grunde gar nicht sagen, weil ich ein vernünftiger, an Fakten orientierter Typ bin – denkt schlicht und einfach merkwürdig. Aber diese Erklärung ist so gut wie jede andere, weil letzten Endes niemand weiß, warum ein BEK-Prozessor mit einer offenen organischen Struktur besser denken kann als ein einfacher BEK-Prozessor. Das ist der beschissene Geist in der Maschine, entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise. Und wenn wir dann im Einsatz sind, dann haben wir es nicht nur mit Ampere und Volt zu tun. Wir kümmern uns um etwas, das nahezu lebendig ist. Es hat seine guten
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