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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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war. Aber er hatte nicht darüber nachgedacht. Denn endlich galt Frau Molins Aufmerksamkeit einmal ihm. Sie saß ruhig da, kratzte sich gelegentlich mit einem langen Bleistift tief drinnen in ihrem Haarnest und ermunterte ihn mit der anderen Hand, fortzufahren. Martin war sich sicher, dass sie gelächelt hatte. Nur deshalb war er zum ersten Mal deutlich geworden, deutlicher als sonst. Sich auf die eigenen Stärken zu besinnen, wie der überaus geschätzte Kollege Topic gerade gesagt hat, ist natürlich nie falsch, setzte Martin also auf ihr Geheiß fort, die eigenen Stärken sind schließlich unser Kapital. Trotzdem klinge ihm persönlich das ein bisschen sehr nach Beschränkung. Und Beschränkung, er machte eine Kunstpause und sah Verena, Rob und Ömer grinsen, sei seiner Meinung nach nicht gerade das, was ein Auftraggeber erwarte, und schon gar nicht dieser besondere. Martin stand auf und ging ein paar Schritte zum Fenster. Dort drehte er sich um und breitete die Arme aus, auf ungefähr zwanzig nach acht. Das Licht musste ihn jetzt günstig von links oben beleuchten, auch solche Dinge spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle.
    Seien wir etwas weniger passiv, sagte er, trauen wir uns mehr zu. Ich bin seit Langem der Meinung, wir sollten die alten Stärken von ROX wiederbeleben, das Filmische und Schräge, worin gerade Sie, Frau Molin, damals auf so unvergessliche Weise Pionierin waren. Wir sollten wieder mehr auffallen, uns stärker von der Konkurrenz absetzen, bevor wir vollends in der grünen Weltverbesserer-Ecke versinken. Wir können uns weiterhin auf ureigenem ROX-Terrain bewegen, indem wir uns zum Beispiel mit den lokalen Communitys beschäftigen und schauen, was da so läuft. Und trotzdem können wir zusätzlich neue kreative Routen erfinden.
    Mischen wir die Genres, rief Martin, weil niemand etwas sagte, machen wir das Neue mit den alten, schönen Mitteln. Haben wir nicht noch irgendwo diesen uralten Theatermaler? Auch Virtualität kann haptisch wirken. Holen wir unsere schrägsten Kreativen heraus, ja, Oskar, so hör einmal zu, rief Martin, weil Topic in Zeitlupe den Kopf zu schütteln begann, das meine ich absolut ernst, gerade für einen Kunden wie Fidelion, der sich in seinem Perfektionismus und seiner Marktbeherrscherrolle zu Tode langweilt. Die haben doch schon Models, die alle aussehen wie Linda Skarsgard oder Nelly Abou! Die haben doch schon alle Designer von Rang eingekauft, gestern erst Lionel Ferrer! Die brauchen etwas Dreckiges, Unerwartetes! Machen wir etwas Kultiges, etwas Grobkörnig-Schräges wie damals den ›Rabattkönig‹, machen wir Plakate und Postkarten, und nur irgendwo links im Bild ist etwas von Fidelion. Drehen wir das Bild vom Allgegenwärtigen um. Fidelion ist sowieso überall, zeigen wir die Welt dazu. Machen wir den Kunden kleiner und menschlicher, das ist es, was er in Wahrheit braucht, damit er nicht eines Tages den Boykott riskiert wie damals Facebook. Erinnert ihr euch nicht? Wie die Menschen es plötzlich gehasst haben? Wie schnell der Zusammenbruch kam, noch viel schneller als der Aufstieg? So etwas kann jederzeit wieder passieren!
    Verena und Ömer klopften mit ihren Stiften ein paarmal auf die Tischplatte und sahen ihn mit großen Augen an.
    Martin streckte, Einhalt gebietend wie ein Dirigent, die gespreizten Finger in ihre Richtung aus. Für Applaus war es noch zu früh. Er sprach schneller. Sein altes Beispiel vom Känguruh kam ihm in den Sinn. Damit würde er sie überzeugen. Das Känguruh als Bild für Doppeldeutigkeit. Nicht Ambivalenz, da wolle er bitte einen großen Unterschied machen. Ambivalenz, das sei Unentschiedenheit, Hin-und-Hergerissen-Sein. Ihm hingegen gehe es um positive und negative Potenziale, die in allem steckten und die man sich unbedingt bewusst machen müsse. Wie beim Känguruh, das sein Kindchen im Beutel trägt und säugt, und gleichzeitig ausgewachsene Hunde ins tiefe Wasser lockt und ertränkt. Er spürte, dass er sich ein wenig verlor, dass er die Bogen eventuell zu weit spannte, aber er wollte sich endlich verständlich machen. Er würde keine weitere Chance verpassen, er hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Er erwähnte die großen Handtaschen, die seelischen Wohnwagen der Frauen, er erwähnte den vermutlich krebserregenden Energydrink aus dem vergangenen Jahrhundert, den ein paar verrückte Liberale bis heute verteidigten wie früher die Raucher ihr Recht auf Zigaretten. Und selbst so etwas finde Anhänger, was sich nur aus dem

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