Quasikristalle: Roman (German Edition)
kommen, haben Sie ganz andere Möglichkeiten.
Wenn Sie damit große Budgets meinen, die innerhalb der immergleichen Denkstrukturen ausgegeben werden, dann hätten Sie recht, parierte Martin so lässig, wie er sich bis dahin meistens gefühlt hatte, aber wenn es um echte Möglichkeiten geht, neue Wege, andere Zugänge, dann bin ich bei Ihnen sicher am richtigen Platz.
Und so hatte er angefangen, hochmotiviert, das wusste Sabina doch genau. Klaglos übernahm er den Marketing-relaunch einer Ökobäckerei in Mecklenburg-Vorpommern: einer von allzu vielen Kunden, wie sie ROX mitschleppte, viel Aufwand für wenig Ertrag. Das war in knapp zwei Jahren sein einziger unleugbarer Erfolg gewesen: dass er mit dem sturen, ewig jammernden Besitzer, einem abgehalfterten Baron, so oft durch dessen zugige Hallen gestapft war, bis sich dieser zu dem neuen Verpackungsdesign hatte überreden lassen, das ihm seither erstaunliche Wachstumsraten bescherte.
Nur ein Mal war er mit der Chefin mittagessen gewesen, am Anfang. Sie hatte den Kopf zur Tür hereingesteckt und gerufen, lieber Kummer, begleiten Sie mich schnell auf ein Häppchen? Damals hatte er nicht genug gewusst, er hatte die Zusammenhänge in der Firma noch nicht ausreichend studiert, alle ihre Entwicklungsmöglichkeiten noch nicht abschätzen können. Noch keinen Schimmer von Topics krakenhaftem Einfluss. Seine einzige Chance hatte er nicht nutzen können. Er hatte sich mit dem Landbaron und seinen Vollkornbrötchen herumgeschlagen, womit er die Chefin zwar erst zum Lachen brachte – ausgerechnet den hat Topic Ihnen vermacht? Er ist ein alter Verbrecher!
Aber dann hat Martin etwas zu lange extemporiert. Dass man aus solchen Jobs etwas richtig Überraschendes machen könne, dass auch ein mittelständischer Bäckereibetrieb erkennen könne, ob er engagiert oder nur geduldig betreut werde, dass seiner Meinung nach ein neues Design der Brötchentüten beinahe Wunder bewirken könne …
Sie sollte sehen, dass sie auch bei langweiligen Kunden auf seine Einsatzbereitschaft zählen konnte! Frau Molins Blick wurde milchig. Sie stocherte in ihrer Pasta und fragte unvermittelt: Haben Sie Kinder?
Daraufhin gab sie Neugeborenentipps (wenn sie sich beim Trinken verschlucken, bloß nicht hochnehmen, sondern das Gesicht von der Brust in Richtung Boden drehen), bestellte unbekannterweise die herzlichsten Grüße an Sabina, sprang plötzlich auf und zahlte, obwohl Martin sein Essen kaum angerührt hatte.
Bleiben Sie ruhig sitzen, mein Lieber, essen Sie gemütlich auf, beteuerte sie, während sie ihre Sachen zusammenraffte, ich muss nur schnell …, ich glaube wirklich, ich habe einen Termin vergessen.
So war das gewesen, ein bisschen unglücklich, schade. Monatelang hatte er, besser vorbereitet, auf eine Wiederholung gehofft. Manchmal ging sie mit Topic, aber meistens ging sie gar nicht essen. Als die Sache mit dem Brötchenbäcker unter Dach und Fach war, ertappte sich Martin dabei, dass er viele Wochen eine seiner Knistertüten mit dem grüngoldenen ›Ährenwort!‹ zusammengefaltet in der Brusttasche trug. Dass er öfter zur Toilette und zum Kaffeeautomaten ging als sonst. Es ergab sich keine Gelegenheit. Ihre Tür blieb geschlossen, ab und zu sah er Topic hineingehen oder herauskommen, es war manchmal nicht einmal klar, ob sie da war oder auf einer ihrer Vortragsreisen.
Sabina brachte Kaffee und Orangensaft und setzte sich an den Bettrand. Sie legte ihm die Hand erst auf den Bauch, rutschte dann tiefer und wuschelte verträumt in seinen Schamhaaren herum. Sie sagte, dass sie die neue Terrasse in Angriff nehmen sollten, bevor es zu spät sei.
Zu spät für was, fragte Martin.
Na, für den Sommer, antwortete sie und lachte. Wir wollen ja nicht das ganze Jahr auf einer Baustelle sitzen. Ich habe die Angebote alle beisammen, fuhr sie fort, gestern Abend hast du gesagt, wir könnten das gleich heute Morgen besprechen.
Wieviel, fragte Martin. Sabina schwieg. Sag es mir einfach, schlug Martin vor, ich will nur wissen, wieviel, davon abgesehen, entscheidest alles du.
Das will ich gar nicht, widersprach Sabina, ich hatte eigentlich gehofft, du nimmst dir Zeit für gemeinsame Entscheidungen. Ich glaube zum Beispiel, dass wir über diese marokkanischen Zementfliesen…
Wieviel, fragte Martin noch einmal und schlug die Augen auf.
Zwölftausend, sagte Sabina, oder eher dreizehn. Aber da ist die Drainage schon dabei.
Martin hatte zwar bemerkt, wie ungewöhnlich ruhig Oskar Topic geblieben
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