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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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Fall für den Psychologen und nicht für uns, knurrt Karimi, also geben Sie jetzt auch einmal Ruhe.
    Danke, sagt Shanti, die sich über das uns freut: Und seien Sie vorsichtig beim Huhn.
    Diese Anspielung versteht er nicht, noch nicht, aber morgen früh wird er wieder über sie staunen.
    Nachdem sie aufgelegt hat, geht sie nach vorn ans Fenster und zieht die Vorhänge ganz auf. Es ist ein Gefühl, wie sich nackt zu machen, dabei ist jedes Gegenüber weit weg. Sie schiebt die Terrassentür bis zum Anschlag auf, sie öffnet das kleine Fenster im Bad, sie fixiert die Badezimmertür mit einem dieser bunten Keile, die jeder schon einmal von dem Baumarkt mit dem japanischen Namen geschenkt bekommen hat, und lässt kräftig durchziehen. Der Platz unten ist leer.

No man is an island, entire of itself.
Every man is a piece of the continent, a part of the main.
    – John Donne –
    13 Liebe Mama,
    da wir anders offenbar nicht weiterkommen: Lass es uns zur Abwechslung schriftlich versuchen, so wie früher, wenn ich dir so auf die Nerven ging, dass du mich die ganzen Ferien zu Tante Christiane schicktest. Du weißt ja, der eine wägt seine Worte besser, und der andere kann in Ruhe zuhören und ruft nicht dauernd dazwischen (obwohl du, wie ich dich kenne, bestimmt trotzdem aufspringen und dazwischenrufen wirst, zumindest innerlich). Außerdem scheint es Dinge zu geben, die sich leichter schreiben lassen als sagen.
    Beginnen wir mit dem Vordringlichsten, das sich, so hoffe ich, am schnellsten aus dem Weg räumen lässt: Nora entschuldigt sich, nachdem sich der Kampfesstaub gelegt hat, ohne Wenn und Aber; es war ungerecht und übertrieben, was sie gesagt hat, und es tut ihr furchtbar leid. Sie wird dir natürlich selbst schreiben, aber ich darf dir das ja schon ankündigen.
    Ohne dass ich davon irgendetwas zurücknehmen will, möchte ich dich trotzdem daran erinnern, dass solche Konflikte menschlich sind, weil sie immerhin zeigen, dass wir lebendig, oder, mit deinen Worten, keine »austherapierten Golems« sind. Gerade du warst immer gut darin, eine temperamentvolle Brüllerei auf ihren Kern herunterzukochen. Ich bilde mir ein, von dir gelernt zu haben, dass alles Getöse nur Beiwerk ist, dass man es wegblenden und schnell vergessen sollte, damit man erkennt, worum es in Wahrheit geht. Dass umgekehrt manche Leute mit ihrem geräuschvollen Aufbrausen nur Leere überdecken, oder strotzende Dummheit. Wie oft hast du die deutschen Harmoniesüchtigen verspottet, die beim ersten lauten Ton in die Knie gehen? Wie oft hast du behauptet, dass man, wenn überhaupt irgendetwas, das Streiten von den Juden lernen sollte?
    Und jetzt willst ausgerechnet du eine Grenze markieren, die nicht hätte überschritten werden dürfen! Das fühlt sich an, als würdest du rückwirkend die Spielregeln ändern. Ich kann das schon deshalb nicht zulassen, weil es meine positivsten Erfahrungen mit Papa und dir zu dementieren scheint, Großzügigkeit, Toleranz, die Fähigkeit, einmal fünfe grade sein lassen.
    Ja, natürlich verweisen Auseinandersetzungen, die persönlich werden, immer auch auf etwas anderes (siehst du, wir haben so viel miteinander diskutiert, dass ich deine Entgegnungen geradezu hören kann). Zumindest verweisen sie auf uneingestandene Aggressionen.
    Aber das solltest du nicht überbewerten. Deine bittere Bilanz, dass man dir endlich die Wahrheit gesagt habe, ist, verzeih das offene Wort, so eine Deckel-drauf-Beleidigtheit. Wie früher Violas geknallte Türen.
    Du kannst nicht im Ernst glauben, dass Nora sich jahrelang verstellt und verbogen hat, um ausgerechnet bei diesem zufälligen Anlass mit irgendeiner Wahrheit herauszuplatzen! Was soll denn das überhaupt sein, die Wahrheit?
    Man könnte das Ganze genauso gut umkehren und sagen: Vielleicht hast du bloß auf ein Stichwort gewartet, das dir die Möglichkeit gab, die Kommunikation abzubrechen und wegzurennen.
    Womit wir beim Thema wären. Ich mache mir nämlich Sorgen um dich. Ich weiß, das ist per se eine heikle Sache. Die Sorgenmacherei ist vorwiegend als Einbahnstraße gedacht, von den Eltern in Richtung Kind. Wenn sie sich umkehrt, fühlt man sich wahrscheinlich mit einem Schlag alt. Heute ist es mir unvorstellbar, dass Fanny eines Tages sagen könnte, sie mache sich Sorgen um mich, aber ich kann sie mir, da sie sich von uns noch gemütlich den Hintern abputzen lässt, ja nicht einmal als Erwachsene vorstellen.
    Trotzdem: Ich mache mir Sorgen. Warum? Weil ich seit Papas Tod gar nicht

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