Quasikristalle: Roman (German Edition)
unzulänglich und dennoch geliebt, wie es sonst nur Kindern geschieht. Das Rätsel der Liebe, das süchtig macht. Inzwischen hatte sie drei Kinder, meine kleine Bigamistin , wie er sie manchmal, seine Finger zwischen ihren Beinen, nannte.
Andrej und er waren die besten Freunde. Ob dieser schlanke, freundliche Intellektuelle der dümmste oder, im Gegenteil, der großzügigste und weiseste Ehemann der Welt war, wusste Bernays noch immer nicht zu entscheiden. Polina danach zu fragen, hütete er sich. Wenn er, Andrej, verunglückte, müsse Bernays für die Kinder sorgen, am besten gleich Pauline heiraten, dieses Versprechen hatte Andrej ihm vor Jahren abgenommen und ihn damit fast zum Weinen gebracht.
Bernays liebte Paulines Kinder auf eine hilflose, tapsige Art; er war ihnen und seiner Liebe zu ihnen nicht gewachsen. Als Autorität unbrauchbar, wie Pauline sagte, aber Autoritäten gebe es ja zum Glück genug. Manchmal hielt er sie tatsächlich für seine eigenen Kinder, diese amüsanten kleinen Menschen, die Pauline ihm vorenthalten oder erspart hatte, je nachdem. Was machte sie eigentlich so sicher, dass er kein Vater sein könnte? Ein Großteil der Menschheit beklage sich rein habituell über die eigenen Väter, hatte er einmal, nackt bis auf zeltartig abstehende Seidenshorts, in einem venezianischen Hotelzimmer ausgerufen. Damit sei über die Faktizität dieser Klagen gar nichts ausgesagt! Draußen schneite es, Nebel über den Kanälen, und ein fast unanständig flauschiger Teppich kitzelte ihn zwischen den Zehen. Ach Liebling, seufzte Pauline vom Bett aus, schau dich doch an.
An Wien fand er, abgesehen vom Wetter, alles furchtbar. Den provozierend jungen und gutaussehenden Assistenten namens Mario, der ihn vom Flughafen abgeholt und schon im Auto aus seiner proskynetischen Verehrung für Rozmburk kein Hehl gemacht hatte. Das Hotelzimmer, das steril aussah wie überall sonst auf der Welt – ausgerechnet bei den Oberflächlichkeiten erwiesen sich die Österreicher als lernfähig und opferten das wenige, das man an ihnen eventuell schätzen konnte: Stil, schwelgerische Überladenheit. Der negative Höhepunkt aber war die Uni, kalt, baufällig und innen in einem Ausmaß verwahrlost, dass es in Bukarest oder Kiew nicht schlimmer sein konnte. Wie immer, wenn er hätte schreien mögen, lächelte Bernays und gab den Zurückhaltenden. Dass die Zivilisation eine Fessel war, eine der menschlichen Natur zuwiderlaufende Rüstung, wurde ihm in solchen Momenten körperlich bewusst.
Er stand mit Mario vor der Tür eines spärlich besetzten Seminarraums, und sie tauschten zum wiederholten Mal ihre Sorgen über Rozmburks Gesundheit aus; schon wurde das Einzige, was sie einander zu sagen hatten, zum Rederitual. Wie lange das noch gut gehen würde? Irgendwann würden sie unweigerlich zu Rozmburks wissenschaftlichen Leistungen kommen, und spätestens dann würde Bernays aus dem Takt des Höflichkeitsballetts geraten. Gerade äußerte Mario den verlogenen Gemeinplatz, dass Rozmburk sich seit Gisèles Tod einfach nicht mehr richtig erholt habe, und Bernays holte Luft, um seinen ersten Widerspruch nicht unhöflich ausfallen zu lassen. Aber dazu kam es nicht mehr, denn plötzlich wurden sie von der Abordnung umringt. Anders könne man das nicht beschreiben, erzählte er später Xane, die über diese Geschichte so lachen musste, dass sie den Kopf senkte und sich die Haare vors Gesicht fallen ließ.
Es hatte jedenfalls wie eine Abordnung wirken sollen, Überwältigung durch Masse, denn seiner, allerdings durch Wut getrübten Erinnerung nach hatte ja nur ein Einziger gesprochen, der stellvertretende Institutsleiter Kabasta, der so näselte wie die bedauernswerten Wiener Emigranten, die in den Hollywoodfilmen der Vierziger-und Fünfzigerjahre die Psychoanalytiker spielen mussten. Die anderen hatten bloß genickt und an den richtigen Stellen geseufzt, ein summender Chor des Bedauerns. Auch das Opfer am Pranger hatte die Professorenmafia mitgeführt, eine schreckensstarre Sekretärin als Sündenbock. Bernays konnte sich später lange nicht verzeihen, diese Sekretärin nicht mindestens beruhigt, am besten aber supermanhaft in den Arm genommen zu haben. Denn dass dem dicklichen Mädchen die unteilbare Schuld zugeschoben wurde, inmitten dieser säuselnden, verbindlich nickenden, untröstlich den Kopf schüttelnden Intriganten, das war ja absurd.
Als die Sekretärin von Rozmburks Erkrankung hörte, habe sie allen Anrufern beschieden, dass das
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