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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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haben würde, bis sie einander wiedersahen. Das kränkte ihn, denn es klang, als wollte sie ihn so nicht haben, abenteuerlustig, veränderungsbereit. Umso lauter hatte er gelacht und sich dabei wie ein Affe gefühlt, ein plumper, neuerdings rothaariger Affe. Aber jetzt hob er ab, er ging auf Reisen, von Pola nach Polen. Ein schlechter Scherz. Und außerdem gar nicht wahr. Er flog nach Wien, um seine Reisegruppe abzuholen. Sein persönliches Häuflein Unbeirrbarer würde er mitten unter den alten und neuen Nazis um sich scharen und ausgerechnet nach Auschwitz entführen, seine Bernays-Österreicher, im Gegensatz zu den Schindler-Juden. Er strich sich durch die Haare, tat so, als würde er seine Kopfhaut massieren, obwohl ihn niemand beachtete. Eine der typischen menschlichen Allmachtsphantasien. Immer verwechselt man den eigenen Blick mit dem der anderen. Nur weil man selbst vor dem eigenen Spiegelbild noch mehr als sonst erschrickt – die unausgeschlafene Blondine hatte viel zu viel geschnitten –, ist man noch lange nicht auffälliger. Auch er, auf seiner ewigen Suche nach Unschuld und Wahrheit, beobachtete am liebsten die Selbstvergessenen, Mädchen, denen der Ausschnitt immer über dieselbe Schulter herunterrutschte und die am linken Daumen kauten, während sie Prüfungen schrieben, Yannick, der in der Sauna seinen Schwanz lang zog, als wäre er ihm unwillkürlich zu kurz. Er bemerkte das gar nicht, denn während er zog und zog, direkt nach oben zum Nabel oder die Oberschenkel entlang Richtung Knie, dass andere allein vom Zuschauen Schmerzen bekamen, diskutierte er auf höchstem Niveau über die Beurteilung von Arisierungsakten. Oder Pauline, deren rechtes Augenlid zuckte, als sie Bernays wieder einmal den Unterschied zwischen ihm und Andrej erläuterte, der eine kein Vater, der andere kein Liebhaber. Dass sie aber beides brauche, nicht wahr. Und um zu betonen, wie ernst sie das meinte und wie vollkommen legitim das war, hatte sie die Hände auf dem Tisch übereinandergelegt und sah ihm geradeaus in die Augen, ein Bild der Ruhe und überwältigenden weiblichen Weisheit. Wenn nur das rechte Lid nicht gezuckt hätte.
    Verstohlen rieb sich Bernays hinter den Ohren. Nicht kratzen, Kopfkratzen ist ekelhaft. Reiben, massieren, so tun, als würde man Druckpunkte kennen. Dann legte er die Hände schnell auf den Oberschenkeln ab, wo er sie unauffällig mustern konnte. Keinerlei Farbe daran. Man müsste einmal nachschlagen, ab wann sich Menschen die Haare gefärbt haben und womit; im Prinzip ein hübsches Dissertationsthema, die gesellschaftlichen Implikationen des Haarefärbens von der Steinzeit bis heute. Er hatte zu viel getrunken, am Vorabend, nachdem er zu Hause angekommen war. Anstatt zu packen, war er am Fenster gesessen und hatte stupide getrunken.
    Seit fünfzehn Jahren schlief er mit Pauline; die ersten Jahre hatte er sie für die Liebe seines Lebens gehalten. Als sie Andrej heiratete, musste er einsehen, dass sie das offenbar anders sah. Obwohl sich erst wenig änderte; sie verreisten weiterhin zusammen, sie erkundeten die Welt, und überall, in Rom und in Lissabon, in Jerusalem und in Kapstadt, bildete er sich ein, dass fremde Menschen ihn verstohlen musterten, als wäre ihnen unbegreiflich, was diese fragile Schönheit an ihm fand.
    Es folgte eine schreckliche Pause, die sie ihm nicht richtig erklären konnte, Abstand, Neuordnung ihrer Gedanken und Gefühle. Er hatte es für das Ende gehalten; es war die schlimmste Zeit seines Lebens. Er hatte sogar an Selbstmord gedacht, nicht ernsthaft, aber immerhin. Sie hingegen wollte nur sicherstellen, dass tatsächlich Andrej der Vater ihres Kindes wurde, so, wie es ihr moralisch geboten schien. Bernays wurde reichlich entschädigt, denn sobald sie schwanger war, brauchte sie mehr Sex als je zuvor. Da durfte wahrscheinlich sogar Andrej öfter ran, wie sich Bernays damals manchmal bitter vorstellte. Inzwischen war er über solche Dinge längst hinaus.
    Als der richtige Zeitpunkt für ein zweites Kind gekommen war, schlug sie ihm vor, sich ein Freisemester zu gönnen. Er gab ihr überschwänglich recht, obwohl sie die Ironie nicht bemerkte. Er errang ein bedeutendes Forschungsstipendium in Washington, ein Jahr lang, und war wild entschlossen, die erstbeste zutrauliche Amerikanerin zu heiraten. Er traf mehrere, die hübsch waren und zu ihm aufsahen; nur wollte er dann sein Leben nicht aus Trotz zerstören. Bei keiner fühlte er sich wie bei Pauline: so nichtswürdig,

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