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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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entfernten sie sich, und als Bernays das später Xane erzählte, behauptete er, sie hätten das rückwärts getan.
    Der angebliche Schriftsteller war ein einsilbiger Mann Mitte fünfzig, Pfeifenraucher, und Bernays, der sich Schriftstellern mit leicht geduckter Verehrungsbereitschaft näherte, die bei Enttäuschung der Erwartungen (nicht berühmt, nicht verrückt, nicht genial genug) sofort in höfliches Desinteresse umschlug, befand ihn schnell als langweilig. Er hieß Richard Rogers und hatte zwei historische Romane geschrieben, von denen Bernays nie gehört hatte. Er wollte mit nach Auschwitz, weil er einer Geschichte über vier Jüdinnen auf der Spur war, die in der Munitionsfabrik gearbeitet hatten.
    Der alte Journalist war pensionierter Sportreporter und von Jugend an Kommunist. Er hieß Georg Slezak, aber seine Mutter habe ihn Schurl gerufen, und ihretwegen wolle er dorthin fahren. Das gestand er mit Angst in den Augen. Hier war er schon, der erste Problemfall, Bernays stöhnte innerlich. Betroffenheitstourismus, man würde auf Schurl achtgeben müssen.
    Der Dissertant sah ähnlich durchschnittlich aus wie Richie Rogers, doch hatte er die Energie eines Springteufels. Sein heller Kopf schien ständig irgendwo hervorzuschnellen, er war einer dieser Menschen, die, kaum wach, schon produktive Unruhe verbreiten. Er stellte ehrfurchtsvolle Fragen, die erkennen lassen sollten, dass er Bernays’ Bücher bis in die Fußnoten gelesen hatte, und würde Bernays fraglos ein reiches Feld zur Selbstdarstellung bieten. Der spürte zwar, dass er von einem Streber eingewickelt wurde. Trotzdem: Für die vielen Stunden, die man miteinander verbringen würde, war ein Stichwortgeber keine schlechte Sache, redete Bernays sich ein. Und ließ zu, dass der Streber mit Mario in heftige Konkurrenz trat. Knappenstreit. Liebesdienerhändel. Als armseligen Distanzierungsversuch vermied Bernays, sich den Namen dieses Menschen zu merken, und nannte ihn stumpfsinnig Herr Architekt, obwohl er noch gar keiner war.
    Das war die deprimierende Lage: Bernays, eifersüchtig umworben von zwei jungen Wissenschaftlern, und keine einzige interessante Frau in Sicht, nicht einmal das mindeste theoretische Flirt-Surrogat. Unter den Studenten gab es zwei Mäuschen, blass und bebrillt, vermutlich aus der österreichischen Provinz, die bestimmt Lehrerinnen werden wollten, am Gymnasium von Steyr oder Amstetten oder Wels. Bernays nannte sie bei sich Uschi und Muschi und hoffte, dass er sie nicht wirklich so ansprechen würde.
    Die dritte Studentin fiel optisch in die Kategorie Kampflesbe, martialische Schuhe, unzureichend gestützte Hängebrüste, kurze Haare. Pauline sagte ja immer, Frauen mit großen Brüsten müssten mit der Frisur gegensteuern. Je größer die gottgegebene Ausstattung, desto wichtiger eine möglichst aufgebauschte Frisur. Bernays, der oft darüber staunte, auf welch abseitigen Gebieten Pauline Prinzipien haben konnte, musste ihr recht geben. In der ersten Sitzung, in einer Art Vorwärtsverteidigung nach dem Kabasta-Schock, hatte Bernays diese Studentin vortreten lassen. Er bat sie, einen Fuß auf den Stuhl zu stellen, und pries ihre Schuhe als das einzig Wahre an, falls es in Birkenau regnen sollte. Die anderen Studenten kicherten unbehaglich. Bernays beharrte darauf. Ihre Schuhe – wie heißen Sie? –, Moni, danke, also Monis Schuhe sind die richtigen, auch wenn sie ein wenig an die SS erinnern. Aber das tut hier nichts zur Sache. Ich bitte Sie inständig: Packen Sie für die Reise robustes Schuhwerk ein. Sonst könnte es für uns alle unangenehm werden. Vielleicht verrät Ihnen Moni ja anschließend, wo man sie bekommt.
    Die deutsche Dozentin hieß Frauke und war das erwartbare deutsch-blonde Akademikerpferd aus dem Ruhrgebiet: gute Laune, starke Knochen, etwas zu viel Zahnfleisch. Beim Lachen. Leider oft und schrill. Ihr Kollege Jürgen war farblos, irgendwie abwaschbar und wahrscheinlich ihr Freund. Oder wollte es gern sein. Das wäre herauszufinden, vorsichtig, damit Frauke nicht gar ermuntert wurde, sich auf ihn, Bernays, zu stürzen.
    Wer natürlich fehlte, war Rozmburks Nichte. Bernays, in dessen Kopf sich diese Formulierung wie eine Verheißung festgehakt hatte, hielt sie inzwischen für eine grashalmfeine Bosheit Kabastas. Rozmburks Nichte, das klang wie der Maria-Theresien-Orden, wie das Maximum von Ehre und Anerkennung, das man Bernays, dem tapferen Ersatzmann, gerne zugebilligt hätte, aber leider doch nicht verfügbar hatte.

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