Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
Vom Netzwerk:
Seminar abgesagt sei, erklärte Kabasta händeringend, besonders gescheit habe es sein wollen, das junge Mädchen, na ja, unerfahren, wo jeder wisse, dass eine so lange im Voraus geplante Veranstaltung niemals einfach abgesagt, sondern mit dem bestmöglichen Ersatz erst recht durchgeführt werde, was heißt Ersatz, verzeihen vielmals, Herr Professor, ganz das falsche Wort, eine höchst erfreuliche Wendung, beinahe, möchte man sagen, eine unverhoffte Aufwertung, wenn das überhaupt möglich, Rozmburk selbst sage ja immer, die Jugend, und dass der verehrte Professor Bernays, und nur Bernays, sein einziger wahrer Nachfolger, nur leider, wie wir hören, dort in Frankreich fix gebunden, aber bitte schön, die Ausschreibung in zwei Jahren, doch davon später, jetzt haben wir andere Sorgen, nicht wahr, dank dieser voreiligen jungen Dame da.
    Denn das – er zeigte anklagend durch die offene Tür in den Seminarraum, in dem die wenigen neugierig die Köpfe drehten – sei das Ergebnis der unverzeihlichen sekretarialen Eigenmächtigkeit: sieben Teilnehmer von ehemals dreißig. Bernays war sofort klar, dass diese sieben nicht wegen besonderer Schlauheit da saßen. Im Gegenteil: Die sieben lasen keine Zeitungen, verfolgten keine Nachrichten und warteten daher unverzagt auf Rozmburk. Rozmburk könnte tot sein, die Zeitungen voll mit mehrseitigen Nachrufen und stimmungsvollen Schwarz-Weiß-Porträts, das Ehrengrab könnte in diesen Minuten ausgehoben werden, doch die sieben würden da sitzen und demütig warten und sich beglückwünschen, dass sie einen Platz bekommen hatten in dem begehrten Seminar.
    Nein, Bernays hatte nicht mit leiser, scharfer Stimme gefragt, ob denn die junge Sekretärin alleinverantwortlich das Institut leite, er hatte nicht, wie es ihm auf der Zunge lag, bemerkt, dass man überall und jederzeit, nicht nur nach 45, die kleinen Chargen bestrafe und die Großen entkommen lasse. Zwar hatte er sich nachher gewünscht, dass es so verlaufen wäre, aber es hatte keine Gelegenheit gegeben, sich zu äußern, denn Professor Kabasta war bereits einen schockierenden Schritt weiter. Er war bei seinen kreativen Bemühungen angelangt, das Desaster abzuwenden, ja, es womöglich in einen Vorteil umzuwandeln. Das betone ich ja immer, nicht wahr, sagte er und vollbrachte das Kunststück, Bernays ergeben von unten anzulächeln, obwohl er gleich groß war: Wir kennen keine Probleme, wir kennen nur Herausforderungen.
    Und daher hatten sie das Exkursionsseminar geöffnet, praktisch für jedermann. Sie hatten aktiv Teilnehmer geworben, Interessierte, Kollegen, sogar einen Schriftsteller! Sie hatten für diesen Versuch einer, äh, Wiedergutmachung die Institutskräfte gebündelt, die Institutsinfrastruktur genutzt und Institutsgelder aufgewendet, das würde sowieso etwas geben, nachher im Rechnungsausschuss, aber das lassen Sie mal meine Sorge sein.
    Lass ich, murmelte Bernays. Zum Glück war die Zeit knapp gewesen, und er würde nicht mit einem Reisebus voller österreichischer Pensionisten losziehen müssen, die endlich den Ort sehen wollten, um dessentwillen ihre Papas und Opas damals entnazifiziert worden waren, obwohl sie wirklich von nichts gewusst hatten!
    Nein, Kabasta und Co hatten, wie er behauptete, besondere, interessante Teilnehmer aufgetrieben, den erwähnten Schriftsteller (ein Brite!), dazu zwei deutsche Mittelbau-Kollegen, die gerade ein Forschungssemester in Wien verbrachten, und einen Dissertanten von der Technischen Universität, Architektur mit Schwerpunkt Baugeschichte. Außerdem einen alten Journalisten mit privatem Beweggrund, er werde nichts darüber schreiben, das habe er versprochen. Und schließlich Rozmburks Nichte. Rozmburk hat keine Nichte, dachte Bernays, aber er sagte nur, missbilligend: Eine höchst inhomogene Gruppe.
    Gewiss, stimmte Kabasta freundlich zu, der auf die jahrhundertealte Fähigkeit seiner Landsleute zurückgreifen konnte, Aggressionen und Beschwerden höflich klimpernd durchzulassen wie ein Perlschnurvorhang: Inhomogen, aber spannend. Ich würde sogar sagen, eine echte Herausforderung!
    Kein Problem, sagte Bernays, aber den Witz verstand Kabasta nicht, oder er wollte ihn nicht verstehen, wer weiß.
    Ich war sicher, dass Sie es so sehen würden, sagte Kabasta, und seine Unterabgeordneten nickten und maunzten und gaben ihrer Erleichterung auf kunstvoll-sprachlose Weise Ausdruck. Und dann hatten sie ihn, Verzeihung, Verzeihung, schon viel zu lang von seinem Seminar abgehalten. Und daher

Weitere Kostenlose Bücher