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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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mussten sie ohnehin mit den Referaten beginnen, und leere Baracken gab es ja genug. Er verabschiedete sich betont herzlich von den Archivaren, zu deren Gemeinschaft er eine Zeitlang gehört hatte. Jetzt war er wieder ein Fremder, obwohl er Hausrecht beanspruchte. Er war einer, der gehen durfte und deshalb nie wissen würde, wie es wirklich war. Diese Überzeugung war ihnen anzusehen. Sie waren ein brummiges Volk, diese Polen, jedenfalls die meisten, mit denen er hier zu tun gehabt hatte. Man wurde nur schwer mit ihnen warm. Vielleicht lag es an ihm. Vielleicht aber auch daran, dass er Ausländer und Jude war. Für beides hielten sie ihn, wahrscheinlich zu Recht. Seine väterliche Herkunft hatte er nie erwähnt. Es wäre ihnen und ihm als Anbiederung erschienen. Und es war nicht die biografische Seite, die ihm selbst wichtig war. Der polnische Nationalismus nach 45, der brutale Antisemitismus gegen die wenigen, die die Nazis übriggelassen hatten, hatte ihn immer abgestoßen. Das war etwas, für das sein Verlangen, alles in kleinste Bestandteile zu zerlegen, um es besser zu begreifen, einfach nicht mehr reichte.
    Er fand Xane mit ihren beiden Kurschatten vor dem Swimmingpool. Sie spazierten auf und ab wie auf einem Korso und schienen sich angeregt zu unterhalten. Aus der Ferne kam ihm die Szene friedlich vor.
    Hat sie also nichts mehr in die Zynismus-Kehle gekriegt.
    Es gab hier ja kein richtiges Benehmen, aber es tat weh, sich das einzugestehen. Dabei war das nur der allererste von vielen Schritten, die immer schwerer wurden. Einer der letzten war die Erkenntnis, dass es wahrscheinlich fast jeder kann, erst Vergasungslogistik erörtern und danach nach Hause gehen und sich vom Söhnchen Schuberts Forelle vorspielen lassen. Wenn man, wie Bernays, lange genug dabei ist, schwindet das Unvorstellbare bis auf einen minimalen Rest. Während gleichzeitig ein Wort wie ›Arbeitsteilung‹ zu einem Nachtalb wird, obszön und erstickend.
    Sie trug einen sehr hübschen blauen Schal, bis hinauf zur Nase. Wenn sie stehen blieb, wickelte sie manchmal ein Bein um das andere, das sah linkisch aus, und rührend. Es schien zu ihren Selbstvergessenheiten zu gehören, außerdem, dass sie auf Haarsträhnen kaute. Sie hatte sehr schmale, kleine Hände, und das Parfum, das sie benutzte, roch nach Zitrone und Holz. Als er auf sie zuging, versuchte er, sich gemessener zu bewegen, als er sich fühlte. Er fühlte sich beschwingt. Sollte er noch einmal nach Übersee gehen, für eine Weile, weg von den sogenannten Originalschauplätzen, weg von Pauline und ihrer Honigfalle? Vielleicht käme Xane mit? Die Vorstellung, mit ihr in ein Flugzeug zu steigen, mit ihr ein Hotelzimmer zu betreten, war reizvoll, aber beängstigend. Da säße sie im Schneidersitz auf einem cremefarbenen Sofa und schnalzte Küsschen in einen Hörer? Dann würde sie auflegen und sagen: Rozmburk lässt dich grüßen. Und du sollst den Aufsatz für die Anthologie abgeben, sonst schmeißt er dich raus?
    Als Xane ihn erblickte, blitzte etwas in ihren Augen. Vielleicht war es dieses Blitzen gewesen, die Verbindung zu dem Tagtraum, Xanes nackte Füße auf dem gemeinsamen Sofa, so wie das Weckergeräusch gleichzeitig Auslöser und Schlusspointe eines gefühlt kinofilmlangen Aufwachtraums ist.
    Sie sprang einen Schritt zur Seite und machte exaltierte Bewegungen, als würde sie fechten.
    Herr Professor, rief sie, meine Kollegen und ich haben hier etwas entdeckt, das die Forschung revolutionieren wird! Ein Swimmingpool! Das ist der letzte fehlende Beweis dafür, wie gut es den Juden hier ging! Ansprechende Umgebung, beste Verpflegung, sportliche Ertüchtigung! Sie senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Raunen: Auch die Sauna, die wir heute gesehen haben, war nur ein Prototyp. Eigentlich war es Himmlers großer und menschenfreundlicher Plan, in jede Baracke eine einbauen zu lassen …
    Sie wurde wieder lauter. Und hier sehen Sie, meine Damen und Herren, ein Becken, das es mit anderen internationalen Wettkampfstätten jederzeit aufnehmen kann. Es bietet allen Insassen, äh, den glücklichen, zufriedenen und wohlgenährten Bewohnern, täglich die Möglichkeit … Bernays beschloss, laut zu lachen, Mario und der Herr Architekt taten es ihm nach. Xane brach ab und machte ein Äffchengesicht. Die beiden anderen begannen gerade zu klatschen, als Bernays vortrat und sie in den Arm nahm, und so schien der kurze Applaus auch ihm zu gelten.
    Zeigen Sie mir die Löcher, und ich lasse die

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