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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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sich die Leiche bewegte und die Brüste eincremte, konnte kein Zweifel mehr an ihrer köstlichen Unversehrtheit bestehen. Ja, am Nachmittag steht die Sonne tief in die schmalen Küchen der Westseite hinein, wirft einen langen Lichtstreifen über den theoretisch uneinsehbaren Klopfbalkon in den Raum. Das weiß er natürlich, obwohl sein kreativer Umbau Hannelore vor Jahrzehnten eine geräumige Wohnküche an der Südseite beschert hat und die alte Küche ein Teil des erweiterten Badezimmers geworden ist. Aber dass jemand auf die Idee kam, sich splitternackt auf den Küchenboden zu legen und zu sonnen, den Oberkörper auf den Balkon hinausragend … Er stellte sich vor, dass er vor Schreck die Scherbe losgelassen hätte. Mit ein bisschen Glück wäre sie nicht der jungen Dame auf den flachen Bauch, sondern nur in die Regenrinne gefallen, wo er sie einst gefunden hat, wahrscheinlich die Beute einer Elster, beschlagnahmt vom Hausherren.
    Er steckte die Scherbe zurück in ihr Versteck.
    Er bildete sich ein, dass seine Finger beinahe zitterten. Was er da tat, gehörte sich nicht. Dass ihm das vorher nie aufgefallen war! Die Sorge um verstopfte Balkonabflüsse rechtfertigte kein regelmäßiges Abblinzeln. Wahrscheinlich müsste man das beichten, aber ob Pater Hermann nicht insgeheim vermuten würde, dass er genau deshalb, auf der Jagd nach Brüsten …? Was der Stellvertreter Gottes auf Erden insgeheim denkt, tut nichts zur Sache, ermahnte sich Ludwig, Gott weiß ja, wie es wirklich war. Trotzdem. Sehr unangenehm. Vielleicht ist es, in einem tiefen Gebet, auf schmerzenden Knien vor dem Altar, direkt zu klären, obwohl ein solches Vorgehen wiederum etwas eminent Protestantisches hätte …
    Nachdem er die Tiere versorgt hatte, stieg er langsam hinab, an der eigenen Wohnungstür vorbei, bis hinunter ins Hochparterre, und läutete an der Tür der neuen Mieterin. Dass sie länger brauchen würde, um zu öffnen, war ihm klar. Er würde warten. Als sich gar nichts regte, dachte er verärgert, stell du dich bloß nicht tot, und läutete noch einmal. Er ließ den Finger eine Spur länger auf dem Knopf. Sie öffnete, nur im Bademantel, und schaute ihn überrascht an. Entschuldigung, murmelte sie mit einer unklaren Handbewegung, ich habe gerade … und ließ den Satz verwehen.
    Ich habe mich für die Störung meinerseits auf das Höflichste zu entschuldigen, erwiderte Diplomingenieur Doktor Ludwig Tschoch kalt, doch haben meine Frau und ich bisher leider verabsäumt, auf unseren Hausbrauch, die Namensschilder betreffend, hinzuweisen. Mit diesen Worten überreichte er ihr eine Karte von Nalada & Söhne: Uhren, Juwelen, Gravuren. ›Das Haus von Doktor Tschoch‹ genüge, man wisse dort Bescheid. Wir hoffen, dass Sie Verständnis haben, und entschuldigen uns für die Umstände, sagte er in ihre weit aufgerissenen Augen hinein, verabschiedete sich mit einer leichten Verbeugung und sah, als er wieder die Stiegen hinaufstieg, aus dem Augenwinkel, dass sie ihre eigene Visitenkarte, die sie lässig unter den Beschlag der Türglocke geklemmt hatte, herauszog und mit hineinnahm.
    Zu bedauerlich, dass er beim Tarockieren war, als sie eine kleine Rache versuchte. Nur Hannelore war zu Hause. Sie kam eigens herauf, um letzte Anweisungen zur Anbringung des Namensschildes zu erbitten. Hannelore hat, wie es schien, das ironisch Aufreizende daran nicht begriffen; sie fand es sogar ausgesprochen rührend, dass sich Frau Molin sorgte, ob sie wirklich neue Löcher in das Holz der Eingangstür bohren dürfe. Frau Molin konnte ihr Schild nämlich nicht einfach da befestigen, wo früher ›Hofrat Soyka‹ gestanden war, weil der Lochabstand des Messingschilds von Nalada & Söhne unfassbarerweise nicht mit den noch zart sichtbaren Soyka-Löchern übereinstimmte. Du liebe Zeit! Die Soyka-Löcher waren viel älter als Ludwigs bereits Jahrzehnte währendes Schilder-Harmonisierungsprogramm! Dass er das nicht bedacht hatte! Das hatte er glatt vergessen. Es ärgerte ihn maßlos, zum Glück konnte sie sich nicht vorstellen, wie sehr.
    Jedenfalls kam sie herauf und fragte. Er stellt sich vor, wie er, wenn er bloß dagewesen wäre, im Schlafanzug sein Werkzeug geholt und ihr spätnachts das Schild angeschraubt hätte, auf Knien vor ihrer Tür, auf ihrem rauen Fußabstreifer.
    Hannelore aber wollte eine solche Frage nicht allein entscheiden, gleichzeitig kam es ihr unpassend vor, Frau Molin zu bitten, auf Ludwigs Entscheidung zu warten. Gewiss wollte sie ihr frisch

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