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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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fragte, ob er ihr irgendwie helfen könne, bat sie darum, ihm zuschauen zu dürfen.
    Ich jäte nur Unkraut, sagte er, peinlich berührt, und sie antwortete, das sei ihr genauso recht wie alles andere. Er holte ihr einen Plastiksessel aus der Garage, obwohl sie protestierte. Sie könne sich ins Gras setzen, sagte sie, und nach einer kurzen Pause sagten sie gleichzeitig etwas, und beide ein bisschen bestürzt.
    Er, Ludwig, sagte, natürlich, wenn Sie lieber im Gras sitzen …, sie dagegen sagte: Aber wahrscheinlich mache ich Ihren Rasen hin, und danach beteuerte sie, dass der Sessel sehr angenehm sei, und er, dass jeder Rasen eine so zarte Dame aushalten müsse, sonst sei er nichts wert.
    Dann riss er weiter sein Unkraut aus, schnippte mit der Gartenschere hierhin und dorthin und gestand ihr schließlich, dass das etwas anderes sei, bei einer so gewöhnlichen Tätigkeit beobachtet zu werden.
    Ja, gab sie zurück, das fasziniere sie seit jeher: wie sich jede Situation völlig verändere, wenn man nur ein bisschen an den üblichen Umständen drehe. Damit arbeite sie, oft. Ludwig versuchte, das, was er von seinen Kindern über ihre Spots erfahren hatte, mit dem Bild eines alten Mannes beim Unkrautjäten zusammenzudenken, aber er spürte, dass es keine Rolle spielte, wenn er nicht verstand, was sie meinte.
    Geht es Ihnen gut, wagte er zu fragen, und sie antwortete viel zu schnell und beteuerte, jaja, sehr gut, und wie wohl sie sich hier im Grünen fühle. Wien sei ein steinernes Meer, in den Innenbezirken; im Vergleich zu Berlin.
    Berlin, sagte Ludwig zweifelnd, ist es in Deutschland grüner?
    Ja, antwortete sie lebhaft, in Berlin jedenfalls, aber das glaubt mir hier keiner, die Wiener glauben, ihr Prater und ihr Schönbrunn sind einzigartig, na ja, so wie alles andere auch.
    Das war eine Anklage, eine Kritik, wohl auch an ihm. Er verzichtete erst einmal auf Entgegnung.
    Später, als er sich langsam entspannte und ihr zeigen wollte, wie man fachgerecht Rosen schneidet, rückte sie mit einer Frage heraus. Ob ihre Vormieterin, die alte Soyka, Verwandte habe. Zwei Söhne, sagte Ludwig, die müssen weit über fünfzig sein. Warum fragen Sie?
    Sie habe einen Brief bekommen, plauderte sie weiter, besser gesagt, an die Soyka sei ein Brief gekommen. Aus Australien. Sie habe ihn nicht geöffnet, aber den Absender angerufen. Der habe ihr eine wilde Geschichte erzählt, über seinen Onkel, aus dem Krieg …
    Die Kinder sind erst nach dem Krieg geboren, unterbrach er, die werden dazu nichts wissen.
    Das Fräulein schwieg. Ludwig zupfte noch ein bisschen und brachte das Körbchen mit dem Unkraut nach hinten, zum Kompost. Er spürte sein Herz schlagen und dachte an die verengte Stelle, die man, wie der Professor gesagt hat, regelmäßig überprüfen lassen muss.
    Hat der Kerl also überlebt, das war kaum zu glauben. Er erinnert sich höchst ungern an die Blutspur und die animalischen Schreie, als der abgeholt wurde, und an die Blicke der Soyka, als sie nach ein paar Monaten wiederkam. Wie sie es damals wohl geschafft hat, dass ihr Gatte, der Hofrat, nicht ebenfalls belangt wurde? Ludwigs Mutter hat einmal bemerkt, der junge Mann und die Soyka hätten bestimmt irgendwie miteinander, warum sonst sei sie so ein Risiko, und deshalb habe der Hofrat wahrscheinlich wirklich keine Ahnung …, aber da schlug Ludwigs Vater auf den Tisch, dass die Tassen in die Höhe sprangen, und danach wurde nie wieder darüber gesprochen.
    Als er zurückging, nahm er seine große Schaufel mit, wie zur Verteidigung. Wenn sie jetzt nicht von selbst ginge, dann würde er den Flieder direkt neben ihr ausstechen und umsetzen, egal, was Hannelore dazu sagte.
    Darf ich fragen, was Sie für ein Jahrgang sind, Herr Doktor, fragte das Fräulein und strahlte ihm allerliebst entgegen. Er seufzte und verriet es ihr.
    Sie waren also dreizehn, zu Kriegsende, überlegte sie und kaute am Stängel eines Gänseblümchens.
    Nicht ganz, sagte er, ich habe gerade noch Glück gehabt, zum Schluss hat man ja sogar Vierzehnjährige…
    Aber dann müssten Sie sich eigentlich daran erinnern an …, mit der Frau Soyka und einem jungen Mann, den sie in ihrer Wohnung – gehabt hat? Nach dem, was der Australier erzählt, muss es damals einen ziemlichen Auflauf …
    Oh Hannelore! Sie hat einen sechsten Sinn oder ein gesegnetes Naturell. Er ist ein Glückspilz. Das weiß er seit Langem, auch wenn sie nie zu den hübschen, aufregenden Mädchen gehört hat, sondern zu den gutherzigen,

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