Quasikristalle: Roman (German Edition)
kann, wohnten die Soykas da. Als Halbwüchsiger hat er manchmal von ihr geträumt, so schön war sie, angsteinflößend schön. Und daraus ist später diese vertrocknete alte Schachtel geworden, der man immerhin zugutehalten muss, dass sie keine Umstände gemacht hat beim Sterben. Ein Rettungswagen am helllichten Tag, von ihr selbst gerufen, das war das letzte Mal, dass man sie gesehen hat. Die Wohnung ungelüftet, aber sonst tipptopp in Ordnung. Da hat er schon anderes gehört über die Zustände von Wohnungen, aus denen man Uralte abgeholt hat.
Der Kontakt zu dem jungen Fräulein ist über Hannelore gegangen, beziehungsweise über deren redselige Freundin Irene. Die das Mädchen bei einer Veranstaltung kennengelernt, aber schon vorher viel von ihr gehört gehabt hat, oder so ähnlich. Für die Feinheiten des Gesellschaftslebens hat Diplomingenieur Doktor Ludwig Tschoch weder Geduld noch Talent. Das ist Frauensache, und das meint er nicht abwertend, im Gegenteil. Er würde niemals an jemanden vermieten, der von seiner Frau nicht approbiert worden ist. Hannelore ist immer auf dem neuesten Stand, das bedeutet eine Menge Arbeit, wobei das Vergnügen natürlich auch eine Rolle spielt. Er ist seit jeher der Meinung, dass Arbeit Spaß machen muss, damit sie gut erledigt wird. Alles andere wäre ja protestantisch, nicht wahr? Und man kann uns viel nachsagen, aber Protestanten sind wir keine!
Erst letztens hat er von Hannelore erfahren, dass sich der zweite Sohn vom Holaubek gesellschaftlich unmöglich gemacht hat, so sehr, dass inzwischen überlegt wird, wie man ihm den Tisch beim Ball der Althietzinger entzieht, so diplomatisch wie möglich. Ein Holaubek-Sohn! Der Vater ein Höchstrichter, der Bruder ein hohes Tier bei der Raiffeisen, alle seit Generationen bei den Rotariern, und dann das. Doktor Tschoch hat vergessen, worum es da genau geht, etwas Wirtschaftliches oder Sexuelles, aber es muss ja ein fortdauerndes Fehlverhalten sein, dass jetzt so reagiert wird. Dem jüngeren Sohn vom Holaubek würde man also nicht mehr vermieten, obwohl das immer ein guter Name war. Dem älteren dagegen mit Handkuss, jederzeit. Das meint er, Ludwig Tschoch, mit den Feinheiten. Um die sich die Frauen kümmern, dankenswerterweise.
Man sollte ja halbwegs zueinander passen, besonders, wenn man als Vermieter im selben Haus wohnt. Zum Glück kann man sich die Mieter aussuchen. Man besitzt ja keine Zinshäuser in Ottakring! Obwohl mit den Ausländern viel Geld zu machen wäre, aber da braucht es einen anderen Charakter. Wahrscheinlich den vom jüngeren Holaubek…
Auf der anderen Seite will man keine Freunde im Haus. Keine Kollegen und keine Tennispartner. Nein, nein, zu nah. Das tut nicht gut, da braucht es wenig Vorstellungsvermögen. Die Freunde der Kinder von Bekannten, oder die Bekannten der Verwandten von Freunden, so ist es perfekt. Es muss die Verbindung geben, aber sie soll lose sein.
So gesehen war die junge Dame eine recht ausgefallene Mieterin. Die Verbindung war mit freiem Auge kaum zu erkennen. Man wusste nicht genau, wer sie war, aber Irene war bereits begeistert. Ein begabtes Mädel, aus der wird noch was! Ludwig Tschoch vermutet manchmal vorauseilendes Prominenten-Denken bei Irene, aber natürlich hat er nichts gegen frischen Wind im Haus gehabt. Das Mädel gefiel ihm, obwohl sie beim Handeln ungeschickt war. Als er die Miete nannte, zuckte sie zusammen und schaute hilfesuchend zu Irene. Irene hob, freundlich lächelnd, die haarnadelfein gezupften Augenbrauen und schwieg. Sie ist ein Profi.
Ja, was haben Sie sich denn vorgestellt, fragte er mit tadelndem Unterton und machte eine Armbewegung, die die Herrschaftlichkeit der Wohnung hervorstrich, obwohl noch die Leitern der Maler herumstanden. Da gab sie, Augen auf den Boden gerichtet, ihre äußerste Grenze flüsternd bekannt, die hundertfünfzig Euro darunterlag, hob anschließend aber den Blick und sah ihn trotzig an. Hundertfünfzig Euro! Offenbar hatte ihr niemand gesagt, wie groß die Spannen waren, in denen gehandelt wurde. Ludwig Tschoch war fast enttäuscht. Ein anständiger, netter Mieter, ein sportlicher Handel, bis der Mietpreis feststand, das konnte einen Tag beleben und das Mietverhältnis stabil einrasten lassen für die nächsten Jahre. Sollte er ein schlechtes Gewissen haben, weil diese Geistesmenschen keinen rechten Umgang mit dem Geld hatten, das ihnen gerade deshalb fehlte?
Sie erbat Bedenkzeit, zwei Tage; Hannelore und Irene wirkten enttäuscht. Er
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