Quasikristalle: Roman (German Edition)
ungewohnt aggressiv, der Schwiegersohn, auch ganz links gibt es Menschen, die…
Aber da stand Ludwig auf, drängte sich an Hannelore vorbei, die ihm fragend nachschaute, ging aufs Klo und ist dort sitzen geblieben, die Hände auf den Oberschenkeln und den Blick auf seine gut beschuhten Füße. Er ist lange so gesessen, so lange, bis sich das Stimmengewirr vom Wohnzimmer ins Vorzimmer verschob und er zur Verabschiedung herauskommen musste. Er hat sich sehr gut die Hände gewaschen, das weiß er noch, mit der Lavendelseife aus der Provence, und wie gesagt, das wäre eigentlich schon alles, es ist ja nicht viel, nur ein paar unzusammenhängende Eindrücke, das war mit Abstand unsere kürzeste Mieterin, und kennen ist wirklich zu viel gesagt, bei Weitem zu viel.
Jede Tätigkeit ist elend, solange man nicht weiß,
wie man sie gut macht. Das gilt für das Wegwischen
klebriger Flüssigkeiten ebenso wie
für das Trösten verzweifelter Freunde.
– Robert Pfaller –
4 Erfüllt von gackernder Erheiterung über sich selbst, stand Sally in einer fensterlosen Partyküche und schnitzte Rosen aus Karottenstücken. Der Gastgeber war prototypisch: flatternde Hose, ein Understatement-Hemd und das, was man seit einiger Zeit Österreicher-Brille nannte, ein schwarzklobiges Gestell in einem jungenhaften Gesicht. Er hatte sie freundlich gemustert und zu den anderen gebracht, gewiss hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er nicht selbst da stand und Schmuckpetersilie an Eischeiben und Cocktailtomatenhälften heftete. Wahrscheinlich war er kaum älter als sie. Sally erinnerte sich an den Keniaurlaub vor ein paar Jahren, als morgens, im Bungalow, ein Butler in der Küche auf Aufwachgeräusche gewartet hatte, um flugs mit dem Frühstückmachen zu beginnen. So scheiße und gleichzeitig großartig, so falsch im richtigen Leben, wie sie sich damals gefühlt hatte, fühlte sich wahrscheinlich jetzt der Österreicher-Brillen-Träger, Galerist, Architekt, Kurator oder was er war, und sie gönnte es ihm.
Die schneeweiße, fast bodenlange Schürze hatte sie von einem Stapel genommen und vor ihre vorgeschriebene schwarze Bluse gebunden; das gehörte zum Arrangement wie die Tischwäsche, das Besteck, die Gläser und sie. Nachdem sie einen Haufen Karottenrosen produziert hatte, schichtete sie Weißbrotdreiecke im Wechsel mit Parmesanstücken, Parmaschinkenröllchen und Oliven übereinander und durchbohrte das Ganze anschließend schwungvoll mit einem Partyspieß. Die Spieße gab es in allen Bonbonfarben, sie musste daran denken, ein paar für Baby mitzunehmen.
Sie legte gar keinen Wert darauf, die Küche zu verlassen, sie war neu und wollte nicht vor Zeugen stolpern. Außerdem war es hier am lustigsten, obwohl diesmal wenig gelästert wurde. Die da draußen waren dem Personal unangenehm ähnlich, jung und aufgeweckt; man hätte die Plätze tauschen können.
Eine gute Stunde, nachdem es losgegangen war, zweigte einer der Kollegen die obligate Flasche Prosecco ab, und ein, zwei Gläser kreisten, die hektisch wieder gefüllt wurden.
Und dann strömten die Karottenröschen langsam zu ihr zurück wie verlorene Söhne, angebissen oder unberührt, unachtsam zur Seite geworfen, zusammen mit den abgenagten Partyspießen und dickwandigen Gläschen voller Schokomousse-Schlieren. Sally räumte die Spülmaschine ein und aus. Ab und zu schwindelte ihr, und sie glaubte, sie trete den Tritt des Abfalleimers im Takt, man hätte dazu synkopiert pfeifen können. Gelegentlich schnippte sie sich ein Stückchen Käse in den Mund, bevor sie den Rest wegwarf; die Gäste draußen hatten außer Schnupfen bestimmt keine ansteckenden Krankheiten.
Ungünstig war, dass das einzige Klo am anderen Ende der Galerie lag. Sie brauchte zwei Anläufe. Beim ersten Mal wurde sie um Weißwein gebeten und kehrte um, weil sie das Paar sonst nicht wiedergefunden hätte. Beim zweiten Mal ging sie einfach durch, trotz einiger Rufe.
Gerade als sie sich die Hände wusch und feststellte, dass ihr die Füße wehtaten, rief es in ihrem Rücken Salome? , freudig, ungläubig. Sally hob den Kopf und schaute in den Spiegel. Weil ihre Finger nass waren, breitete sie um Verzeihung bittend die Arme aus und drehte sich um, und da hatte sie sie schon am Hals, die duftende, völlig unerwartete Xane Molin, die hier natürlich Gast war und keine Tellerwäscherin.
Just call me Sally, murmelte Sally und musterte Xane, die, wie sie zugeben musste, phantastisch aussah.
Was machst duuu…, fragte Xane,
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