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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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deren Wiedersehensfreude bereits von der situativen Peinlichkeit verdunkelt wurde, da lüpfte Sally ein wenig ihre lange Schürze, als wollte sie knicksen, und sagte, ich schnitz dir eine Karottenrose, wenn du hungrig bist.
    Xane kicherte schrill, boxte ihr gegen den Oberarm und wühlte in ihrer Handtasche. Bist du länger in Berlin, fragte sie, ja, pass auf, ruf mich an, versprich’s mir, gleich morgen, nur, ich muss jetzt wieder… und sie stürmte in eine Kabine. Sally machte, dass sie wieder in die Küche kam.
    Spätnachts, als sie die schlafende Baby von Frau Hilpert holte und über den Hof nach Hause trug, hatte sie die Visitenkarte schon verloren. Als sie sich auszog, waren da nur ein paar Partyspieße in ihren Hosentaschen, dann fiel sie neben Baby auf die Matratze und schlief sofort ein.
    Aber Xane wartete erst gar nicht auf ihren Anruf. Offenbar war es gleich nach dem Aufstehen ihr erstes Bedürfnis gewesen, Sallys Nummer aufzutreiben. Wir müssen uns sehen, jubelte sie ins Telefon, der schlaftumben Sally ans Ohr, du musst mir alles erzählen, was du machst und wie es allen geht, Judith und deinen Eltern, und obwohl Sally darauf wenig Lust verspürte – warum wäre sie sonst so weit weg geflohen? –, war sie nach diesen ersten Monaten in Berlin, in denen ihr kaum etwas gelungen war, froh über ein vertrautes Gesicht und die heimatliche Redeweise.
    Sie zog ihr rotes Flamencokleid an, fünf Euro, vom Flohmarkt, dazu Plastikschlapfen. Das wirkte. Wie sehr Xane staunte, merkte man an ihrem abgewandten Blick. Sie war in der Urban-Intellectual-Uniform gekommen, Blue Jeans und oben etwas Schlichtes, Teures, Schwarzes. Sally bestellte daraufhin einen weißen Spritzer, denn nie ist man so unaufmerksam wie im Triumph. Der schwule Kellner fragte pikiert: Einen was?
    Xane verlangte schnell zwei Weißweinschorlen und versuchte sogar, das ›r‹ zu rollen. Sally sah, dass sie stellvertretend ein bisschen rot wurde.
    Ist mir am Anfang dauernd passiert, sagte Xane und hielt sich die Handflächen an die Wangen, da hab ich auch noch ›Bankomat‹ gesagt.
    Ich sag immer noch Bankomat, erwiderte Sally trotzig, wie heißt das denn bitte?
    Geldautomat, sagte Xane, aber ich glaub, sie verstehen Bankomat eh.
    Geld-au-to-mat, sagte Sally und klappte vier Finger auf, Ban-ko-mat hat nur drei Silben. Genau wie ›ich kucke Fernsehen‹ statt ›ich seh fern‹. Die sind so umständlich!
    Ich bin mit einem verheiratet.
    Mit einem was?
    Mit einem Piefke.
    Verheiratet? Du? Das hätt ich dir nicht zugetraut.
    Warum nicht?
    Weil … weiß nicht. Egal.
    Zur ersten Einladung kleidete sie sich unauffälliger. Nur die Schachtel mit den silbernen Pumps, die holte sie vom Kasten herunter und wickelte die Schuhe aus dem Seidenpapier, bestaunt von Baby, die darin lupenreine Prinzessinnenschuhe sah. Sally hatte sie unter irgendeinem aufgeregt vorgebrachten Vorwand zurückbringen wollen, so schnell wie möglich, weil sie sich nicht mehr erklären konnte, in welchem Geisteszustand sie bedeutende Teile der Miete aus der Kaffeedose nehmen und gegen ein Paar Schuhe hatte eintauschen können; sie schuldete Frau Hilpert noch zwanzig Euro, und das Doppelte, sobald Xanes Fest vorbei sein würde. Dabei war Frau Hilpert spottbillig. Aber wenn sie die Schuhe trug, konnte sie sie nicht mehr zurückgeben.
    Baby, mein Schatz, sagte sie plötzlich und drückte das Kind an sich, Sally geht doch nicht weg, wir bleiben beide hier und schlafen zusammen ein. Zum Beweis zog sie die Schuhe aus und stellte sie neben das Bett. Sie rief Frau Hilpert an und sagte ab. Sie las Baby eine Geschichte von Bobo Siebenschläfer vor, bei der sie Bobo durch Baby ersetzte, deckte sie zu und legte sich zu ihr. Während das Mädchen sie unverwandt anschaute – Kinder zwinkern so selten –, steckte sich Sally ein Stück Würfelzucker in den Mund. Natürlich wollte Baby auch eins, darauf hatte sie gewettet. Erst erinnerte Sally sie mit ernster Stimme daran, dass sie schon Zähne geputzt habe, dann lachte sie ausgelassen und rief: Aber man kann ja Ausnahmen machen, gell?
    Baby nickte glücklich. Sally dachte an ihre eigene Mutter, die, jedenfalls solange sie irgendwie funktionierte, niemals Ausnahmen gemacht hatte, als hätten diese beschissenen Regeln nur dazu gedient, ihr, der Mutter, den dringend nötigen, aber niemals ausreichenden Halt zu geben. Sie holte aus der Küche den Würfelzucker für Baby, der von den drei Tröpfchen Diazepam erstaunlich schnell aufweichte. Ein paar

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