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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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aus, es wurde kindisch gehuht und gebuht, eine Torte, auf der Wunderkerzen sprühten, wurde durch die Menge getragen, vermutlich von Mor, ein anderer Mann kämpfte sich durch die Menge zu ihr, nahm Platz, Sally erkannte überrascht ihren Begleiter aus jener Bar in Kreuzberg, er schmalzte Happy Birthday in die Tasten, alle sangen, auch sie … aber währenddessen schämte sie sich, sie wusste nicht, für wen von ihnen beiden mehr. Sie hatte sich nicht erinnert und kein Geschenk, falls sie überhaupt je gewusst hatte, wann Xane Geburtstag hatte. Sie war ungefähr zehn gewesen, als Judith die Schule wechselte und Xane verschwand, nachdem das blonde Mädchen gestorben war. Aber Xane hatte sie neutral zu einer Party eingeladen, nicht zu ihrem Geburtstag. Na gut, sie hatte sie jobben sehen, in der weißgestärkten Langschürze zeitgenössischer Bediensteter. Machte es das besser oder eher schlimmer?
    Sally sah diesen Bernd an, Wochenendpianist und Betriebswirtschaftsstudent, dem sie gefiel und den sie bisher so stur ignoriert hatte wie einen Fettfleck an fremdem Hemdkragen. Unhörbar formulierte er eine Frage, und sie nickte ihm zu. Während die anderen klatschten und lachten, begann er mit dem Intro, sie stampfte einmal mit dem Stöckel auf und ging dann hüftschwingend durch den Raum, auf die verblüffte Xane zu, zog einen Stuhl unter einem Partygast hervor, trug ihn zurück und sang mit gut gezügeltem Pathos Rien de rien , das sie, wie in Kreuzberg, so enden ließ, dass sie einen Fuß auf die Sitzfläche stellte und mit Lehne, Arm, zurückgelegtem Oberkörper und ihren langen Haaren einen Bogen bildete, während der hoffnungslose Bernd alle Akkorde im Pedal ertränkte.
    Der Jubel der Gäste, die sie nicht kannte, war ihr egal. Aber Xane war so stolz auf sie, dass es Sally fast peinlich war. Einen Moment lang stellte sie sich vor, Judith könnte sie jetzt sehen. Wahrscheinlich würde die Schwester sie beide verachten; Sally dafür, dass sie sich, wie zurückhaltend auch immer, überhaupt vor Publikum produzierte, und Xane, dass sie sich von einem hingehauchten Chanson schmeicheln ließ. Aber Sally hatte sich vorgenommen, Judith, überhaupt ganz Wien, aus ihrem Kopf zu streichen. Denn es machte Spaß, Xane zu gefallen. Es machte warm und wichtig.
    Das Fest endete im Morgengrauen, mit einer Handvoll Leuten in der Küche. Der Trunkenheitsgrad war nicht unbeträchtlich. Xane erzählte gerade zum dritten Mal, dass Sally manchmal bei ihr im Bett geschlafen habe, obwohl sie von ihrer Schwester hartnäckig des Bettnässens bezichtigt worden sei – eine typische Gemeinheit von Judith, denn bei mir hat sie das nie gemacht –, und Sally konnte nur grinsend den Kopf schütteln.
    Das Singen hat sie von ihrer Mutter, sagte Xane plötzlich und schaute bedeutungsschwer. Da stand Sally auf.
    Und diese Schuhe, seufzte eine Frau, die mit einer Zigarette zwischen den Lippen am Herd stand und Spiegeleier briet.
    Die Schuhe sind absolut unglaublich, stimmte Xane verträumt zu, und Mor legte ihr den Arm um die Schultern. Ich schmeiß euch jetzt alle raus, sagte er freundlich.
    Sally stand mitten im Raum und wusste endlich ohne Anweisung, was zu tun war. Sie stieg aus den silbernen Schuhen, hob sie mit Daumen und Zeigefinger auf und stellte sie vor Xane hin, zwischen all die Gläser und Aschenbecher. Mazeltov, Xane Molin, sagte sie, das war definitiv die beste Party seit Langem.
    Schon ein paar Tage später wollte ihr scheinen, sie habe noch nie eine Freundin gehabt wie Xane. Mor war weggefahren, eine Vortragsreise in Süddeutschland, und ihretwegen hätte er niemals zurückkommen brauchen. Obwohl sie ihn wirklich mochte. Xane und sie schütteten sich darüber aus, dass er ihr nachgerannt war, bis unten ans Haustor, einen Schuh in jeder Hand. Wie kommst du nach Hause, hatte er gerufen, ohne Schuhe? Und Sally hatte ihn an den Schultern gepackt und geküsst, herzhaft auf beide Wangen, und lachend gesagt: Bestimmt nicht zu Fuß.
    Wie süß er ist, kicherte Xane, dazu hätte ich keine Kraft mehr gehabt, ich war viel zu besoffen. Sie fragte nie, wie Sally nach Hause gekommen war, sie ging wahrscheinlich von einem Fahrrad oder einem Taxi aus. Sallys kesse Antwort verbot die Entzauberung durch die Wahrheit. Eine Sally, die am nächsten Tag todmüde und verkatert auf einer Matratze am Fußboden lag und sich die kohlschwarzen Füße von einer hochkonzentrierten Vierjährigen mit Bürste und Waschlappen bearbeiten ließ, während sie dem Kind

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