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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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Molin’schen Nordbalkon zuschauten, wie sie unten in ihr Auto stieg und dem Umzugswagen hinterherfuhr. Wie immer verstand Hannelore genau, worauf er sich bezog. Im Großen und Ganzen, widersprach sie, Detailkenntnis erwartet ja keiner.
    Zum letzten Mal sah er sie im Fernsehen, und er kann nur hoffen, dass es bei diesem Mal bleibt. Obwohl er ihr wünscht, dass es ihr gut geht, besser als damals in Wien. Trotzdem. Wiedersehen möchte man sie eigentlich nicht mehr.
    Es war der pure Zufall, denn wie die Kinder richtig vermuteten, benutzten Hannelore und er den Fernseher kaum noch. Die Kinder waren alle da, es war recht spät, Suzanne hatte den Abend lang ihren mächtigen Bauch gestreichelt und ihre großen Mädchen darüber beinahe vergessen. Der Schwiegersohn mahnte zum Aufbruch, doch Ludwig junior erinnerte an irgendwelche Fußballergebnisse, und so zerrten die, die Ludwig früher die jungen Männer genannt hat, gemeinsam den Fernseher auf seinem Wagen aus der kleinen Nische, in der er sonst unbeachtet stand.
    Als sie einschalteten, füllte das gottverlassene, todtraurige, wunderschöne Gesicht von Ludwigs Jesulein den Bildschirm aus. Dazu ertönte eine aggressiv hämmernde Musik, die er spontan mit jungen Jugoslawen und heruntergekurbelten Sportwagenfenstern auf dem Gürtel in Verbindung brachte. Die Musik verstummte, das Jesulein verschwand, als löste es sich im Licht auf, der Bildschirm wurde weiß und eine Schrift erschien: Gott schütze Österreich.
    Das war der ›Film ohne Worte‹, das neue Werk von Xane Molin, sagte die sonore Stimme eines bekannten Moderators, sie nennt es ›österreichische Impressionen‹, aber man wird sagen dürfen, dass diese Impressionen in eine bestimmte, kritische Richtung zielen.
    Man sah das hübsche, nun etwas maskulin wirkende Fräulein Molin mit einem sehr verspannten Mund in der Ledergarnitur der nächtlichen Diskussionssendung sitzen.
    Mama, rief Suzanne, euer Christus war gerade im Fernsehen, und sie lachte und hielt sich wieder mit beiden Händen den hochschwangeren Bauch. Hannelore kam aus der Küche, ein Geschirrtuch in der Hand, und begriff gar nichts, weil die Kamera nun auf einen Mann hielt, einen dieser Emporkömmlinge von der ganz Rechten, der verkündete, dass die Österreicher wahrlich stolz sein dürften auf das, was sie in den letzten Jahrzehnten geleistet hätten. Der Schwiegersohn schaltete auf Teletext um und suchte nach den Fußballergebnissen, aber Ludwig junior rief, zurück, das wollen wir sehen!
    Und dann sah seine Familie der früheren Mieterin zu, wie sie sich gestikulierend und schrill, im Grunde wie sein hungrig-zorniger Adolf, gegen den Vorwurf der Nestbeschmutzung verteidigte und dabei verrückte, übertriebene Dinge sagte, diesen üblichen linken Schmafu, dass sie diese Mozartkugel-Seligkeit satthabe, dieses Selbstgefällige und Geschichtslose, weil sich die meisten Österreicher immer noch weigerten, sich an die Verbrechen zu erinnern, die direkt vor ihrer Haustür, ja vor ihren Augen stattgefunden hätten, stattdessen bekreuzigten sie sich und fütterten fröhlich ihre Frettchen.
    Ludwig saß ruhig da und spürte ihren Worten nach. Woher sie aber jetzt wusste…? War vor seinen Augen wirklich ein Verbrechen …? Wenn dieser, dieser angebliche Neffe der Soyka es bis nach Australien …, dann war es doch nicht so … schlimm wie …?
    Hannelore schaltete den Apparat aus. Papilein, schnurrte Suzanne zärtlich und beugte sich zu ihm herüber, du hast ihr deine Tierchen gezeigt? Das finde ich so süß von dir!
    … vergessen, dass Österreich eine der weltweit erfolgreichsten Volkswirtschaften …, hörte man den Schwiegersohn, der prompt von Ludwig junior, seinem ewigen Sparringpartner, geneckt wurde: Mein Gott, Walter, das ist nur ein Verkaufsschmäh, alle haben ihre Posen, die Politiker genau wie die Künstler, du glaubst nicht im Ernst, dass die das selber glauben, während sie ein Stipendium nach dem anderen kassieren …
    Die Schwiegertochter, die, je länger sie kinderlos blieb, umso aufmüpfiger wurde, biss sich auf die Lippen, bevor sie leise sagte, dass sie davon ausgehe, dass manche Menschen noch Überzeugungen hätten, sogar solche, die anderen nicht gefielen.
    Na sicher, Schatzi, beeilte sich Ludwig junior zu begütigen, beugte sich hinunter und küsste sie auf die Wange, ich will nur sagen, dass zwischen der inneren Überzeugung und dem, was einer im Fernsehen sagt …
    Mir scheint, du nimmst diese Extremisten nicht ernst, schnarrte,

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