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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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ist. Das ist gut, ein Mann will sich nicht als Pferd sehen, das vor dem Hindernis laut wiehernd scheut, womöglich mit Schaum vor dem Mund und quellendem Augenweiß. Das ist eher weiblich, vom Bild her. Männer dagegen sind Durchbeißer, Soldaten, eisern und schweigsam bis in den Tod. Aber Männer sind nicht Heikes Spezialgebiet, sondern Follikeldurchmesser, Endometriumstärken, Gerinnungsparameter, Vorkernstadien. Schwangerschaften nur in den allerersten Wochen, Fruchthöhle, Dottersack, Herzfrequenz. Wenn da alles in Ordnung ist, wünscht sie den werdenden Müttern eine schöne Schwangerschaft und schickt sie zurück zu ihren niedergelassenen Ärzten.
    Sie stützt die Ellenbogen auf ihren beinahe leeren Schreibtisch, legt die Fingerspitzen vor dem Gesicht zusammen und beginnt mit dem Satz: Eine Kinderwunschbehandlung ist für alle Paare eine vielfach belastende Situation, Betonung auf ›alle‹. Özkan starrt auf den Boden, sein Mund zuckt, und Heike braucht keine zwanzig Minuten, um ihn zurückzuführen auf den rechten Pfad, über die cremefarbenen Spannteppiche vor den Männer-Raum, wo Frau Baukes schon mit dem Becherlein wartet, voller Bewunderung für sie, die gutgelaunte Dompteuse Heike Guttmann.
    Es war nur ein medizinisches Missverständnis, relativ leicht aufzuklären, obwohl die Lage des Paares erst mal prekär bleibt. Er habe mit seiner Frau gestritten, hat er hervorgepresst, er müsse sich das Ganze noch einmal überlegen. In der Zwischenzeit könnten Frau Klopfers Eizellen doch eingefroren werden. Heike hat ihm geduldig erklärt, dass man unbefruchtete Eizellen nicht einfrieren kann, auch wenn das für ihn vielleicht nicht logisch klinge. Aber sie seien eben sehr viel weniger robust als befruchtete. Alle unsere Techniken sind auf befruchtete Eizellen ausgelegt, hat Heike gesagt und nicht gesagt, dass es sich schließlich nicht um Äpfel und Birnen handelt. Stellen Sie sich diese befruchtete Eizelle wie ein kleines Kraftwerk vor, sie will sich teilen und wachsen, beide Teile sind zusammengetroffen, Vater und Mutter, das ist wie ein Stromkreis, Plus-Minus, und da friert man sie ein. Sie überwindet den Schock des Einfrierens und Auftauens mit dem Wunsch, weiterzuwachsen, sie ist in ihrer vitalen Bewegung nur vorübergehend aufgehalten. Sozusagen. Diese Energie hat die bloße Eizelle nicht. Bildlich gesprochen. Obwohl wir durch das Auftauen auch Embryonen verlieren. Am aussichtsreichsten ist immer der frische Zyklus. Sagen alle Statistiken.
    Als diese Dinge geklärt waren, redete sie ihm doch noch ins Gewissen. Das war sie sich als Frau schuldig. Frau Klopfer und er hätten die Entscheidung zu dieser Behandlung gewiss nicht leichtfertig getroffen? Also sollte eine vorübergehende Meinungsverschiedenheit am Wochenende… Und so weiter. Er hat nicht mehr viel gesagt. Ihrem Gefühl nach hat den Ausschlag gegeben, dass vor jedem Embryotransfer ohnehin noch einmal beide Unterschriften eingeholt werden müssen. Dass sich Frau Klopfer also nicht hinter Herrn Özkans Rücken einen Embryo abholen kann, für den er später Unterhalt zahlen muss. Vorausgesetzt, dass es schiefläuft mit der Beziehung und gleichzeitig gut für die Statistik von Heike Guttmann. Alles schon einmal dagewesen, deshalb alles gesetzlich geregelt, bis in die unwahrscheinlichste Verästelung. Zu der der Fall Özkan nun gehört. Die arme Frau Klopfer. Und das war also Heikes Wochenbeginn.
    Es folgen drei Ultraschalle, da lässt sich Zeit gutmachen. Heike entschuldigt sich bei jeder Patientin damit, dass ein Paar eine längere Beratung gebraucht habe, denn mit einem medizinischem Notfall wie in anderen Arztpraxen darf man hier keinesfalls argumentieren. Hier gibt es keine Notfälle. Menschen, die sich den Zeugungsakt von Biologen entziehen lassen müssen, die des ganzen Mythos’ von erfüllendem Sex und daraus folgender Frucht der Liebe bereits verlustig gegangen sind, wollen sich noch weniger krank fühlen als die meisten anderen. Jeder ärztliche Anschein muss so weit wie möglich vermieden werden. Heike und viele Kollegen geben sich deshalb lieber als Ingenieure der Medizin, als Brückenbauer, Landgewinner. Sie trägt nur selten einen weißen Mantel. Im OP, bei der Punktion, trägt sie vorschriftsmäßig grün. Aber anders als ein gewisser Kollege, der den Mundschutz um den Hals baumeln lässt, als wäre das ein Ausweis von Professionalität, läuft sie damit nicht den ganzen Vormittag herum. Sie zieht sich sofort um. Und selbst wenn eine

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