Quasikristalle: Roman (German Edition)
und nippt an ihrem Tee. Wo sie bei Özkans Ehefrau gerade zehn prachtvolle Eizellen erwischt hat! Eine Ausbeute, für die andere viel Geld zahlen würden, wenn man auch das mit Geld beeinflussen könnte. Was man leider nicht kann. Özkans Frau heißt übrigens Klopfer und ist so deutsch wie Heike selbst. Özkan ist Aktienanalyst oder Finanzberater oder etwas in der Art, er hat nicht die Spur eines Akzents und ist um Klassen integrierter als sein Name. Dass die Frau ihren Nachnamen behalten hat, darf als Beweis gelten. Das ist immer noch eher selten in deutsch-türkischen Verbindungen, die aber, auch das muss man sagen, mehrheitlich in den unteren Schichten zu finden sind.
Wozu Klopfer/Özkan definitiv nicht gehören. Heike glaubt sich zu erinnern, dass die Klopfer Juristin ist, keine Anwältin, das nicht, aber Juristin in irgendeinem Betrieb. Im ersten Gespräch vor einigen Wochen ist Heike nichts Besonderes aufgefallen, sie schienen vernünftig und harmonisch, aber bitte, die Männer bekommt man danach kaum mehr zu Gesicht.
Sie sieht die Hiobsbotin an, eine Neue aus Niedersachsen, bleich wie Kalbfleisch, die in der Tür steht und nervös die Hände knetet. Frau Baukes, verwenden Sie ruhig mal ein bisschen Make-up, sagt sie freundlich, oder bloß Rouge, für die frische Gesichtsfarbe. Heike ist dafür bekannt, dass sie ein Auge auf das Aussehen der medizinischen Assistentinnen hat. Sie selbst ist mit Abstand das Mondänste, was diese Klinik zu bieten hat, obwohl das nicht allen gefällt. Sie fragt sich ja öfter, wieso Gynäkologinnen im Durchschnitt aussehen wollen wie Biobäuerinnen oder wie diese Dörrpflaumen von Pastorinnen. Ob es nicht genügt, dass die meisten Hebammen so aussehen. Und in welchem Beruf man als Frau eigentlich modisch sein darf. Ob das nicht ein durch und durch deutsches Phänomen ist. Denn die französischen Ärztinnen und Richterinnen sind oft sexy bis dahinaus…
Zurück zu Herrn Özkan. Er weigert sich, seinen Becher vollzumachen. Er hat es sich anders überlegt. Aber seine Frau hat er, vollgepumpt mit Hormonen, vorher ungerührt dem Anästhesisten übergeben. Und das alles gleich am Montagmorgen. Heike zwinkert der blassen Baukes zu, bei der man in Zukunft noch überprüfen muss, ob sie überdurchschnittlich schwitzt, und trällert: Ich kümmere mich!
Sie schwebt durch den Flur und die Milchglastür, auf der ›Eingriffe, Labor, Zutritt nur für Mitarbeiter‹ steht. Auf dem Rückweg, mit Herrn Özkan im Schlepptau, der eventuell einen Blick für ihre schlanke Gestalt oder ihre hohen Hacken hat, was ihn beruhigen und auf andere Gedanken bringen könnte, denkt sie daran, wie schwer manchen Kollegen diese Gespräche fallen. Immer wieder ist davon die Rede, Rufe nach Supervision und Erfahrungsaustausch, mich belastet das .
Heike muss beinahe verbergen, wie wenig sie das belastet. Ursprünglich wollte sie Biologin werden, nicht unbedingt Ärztin. Deshalb fehlt ihr wohl der Hang zum Missionarischen, der wegen der Dickköpfigkeit der Schäfchen so oft an schmerzhafte Grenzen stößt. Sie will niemanden zu etwas überreden oder von etwas abhalten. Die Folgen seiner Entscheidungen muss jeder selbst tragen. Sie macht einfach ihre Arbeit: Diagnose, Therapie und Schluss. Sie hat keine Angst vor Menschen, und es ist wohl die empathische Angst oder die ängstliche Empathie der Ärzte, aus der manche Patienten den Freibrief zum Ausflippen ableiten. Bei ihr flippen fast nie welche aus. Sie weinen, gut, aber das tun viele hier. Die anderen strahlen, nach jahrelangem Kampf, und schreiben später rührende Dankesbriefe, beklebt mit Störchen, Schnullern und Herzchen, aus denen die Babyfotos nur so purzeln. Die Freudentränen überwiegen, insgesamt. Ein schöner Beruf. Wie so oft im Leben überwiegt das Positive. Die, bei denen gar nichts klappt, werden im Lauf der Jahre stiller, als würden sie innerlich verglühen. Man gewöhnt sich wirklich an alles, hat ihr eine dieser Aschefrauen einmal tonlos anvertraut, man gewöhnt sich sogar an die Fehlgeburten.
Zurück in ihrem Zimmer, bietet sie Herrn Özkan Tee an. Ein gusseisernes Kännchen steht auf dem Stövchen. Er könnte auch Kaffee bekommen, den müsste sie allerdings bringen lassen. Wie Sie möchten, schmeichelt sie, wir haben Zeit, wir nehmen uns gerne Zeit für Sie, denn das ist ja keine Nebensächlichkeit, über die wir hier reden müssen. Özkan nickt mit zusammengepressten Lippen, und Heike spürt, dass ihm sein Verhalten plötzlich peinlich
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