Quasikristalle: Roman (German Edition)
Sexualität, die den Namen verdient. Mit dem eigenen Mann zu schlafen, wenn die Brust tropft und die Dammnähte gerade verheilt sind, oder nachdem einer der beiden den Windeleimer hinuntergetragen hat – das ist eher ein ritueller Stempel, die körperliche Bestätigung des Familienvertrags, wie ein warmer Händedruck. Gibt klarerweise keine zu. Man gaukelt dem Mann Normalität vor, diese Frauen, von denen man gelegentlich hört, die sich ein Jahr und länger verweigern, die müssen doch andere Probleme haben. Auch die Männer gaukeln. Sie sind meistens genauso müde, und ihre Frauen sind in jeder Hinsicht aus der Form. Sie weinen, riechen nach Milch, und ihre Brüste sehen aus wie Landkarten, mit hormonell geweiteten Adern als Flussläufen. Doch der Mann wird männlich zeigen, dass sich nichts verändert hat, dass man sie auch nach der Geburt begehrt wie vorher und nicht auf die Mutterrolle reduziert.
Alles hat sich verändert, und keiner gibt es zu. Das ist rührend, und die Bedingung dafür, dass alle durchhalten. Die Monate vergehen, und man gewöhnt sich. Die Ängste ziehen sich zögernd zurück, verändern sich, stoßen ihre Spitzen ab. Ein Einjähriger, der Kopf voran auf die Rutsche kippt und unten mit dem Gesicht zuerst ankommt, hat vielleicht eine blutende Lippe, ist aber vom Sterben weit entfernt.
Es gibt Stufen zurück in die Wiedermenschwerdung. Wenn sich das Kind zum ersten Mal abstellen lässt. Da steht es, verdattert, und klammert sich an deinen Unterschenkel. Man kann es und sich selbst in Ruhe ausziehen, die Sachen aufhängen, muss nicht in nassen Stiefeln zu sicheren Ablageplätzen eilen oder es ungeübten Personen in den Arm drücken.
Wenn die Stillzeit vorbei ist. Inzwischen wird das unter Müttern mit Cocktail-und Zigarettenpartys gefeiert, was zwar albern, aber verständlich ist. Nie ist man so glücklich beschickert wie nach dem ersten Glas irgendwas, nach anderthalb Jahren Abstinenz.
Wenn man nach zwei Tagen Abwesenheit plötzlich bemerkt, dass man das Kind noch gar nicht vermisst hat, weder seinen Geruch, noch seine Stimme. Da ist ein kleines Schuldgefühl, aber auch eine große Freiheit. Irgendwo steckt es, das Kind, fern von einem selbst, aber auch dort, wo es ist, wird es beschützt und genährt.
Und so vergehen die Jahre. Die Windelzeit ist zu Ende, bald muss man keine Sandburgen mehr bauen. Der Impfplan ist erfüllt. Die Milchzähne fallen aus. Die Schule beginnt. Und eines Tages steht man irgendwo, und der Blick verklinkt sich mit dem eines fremden Mannes. Es brennt so scharf wie Meerwasser, das einem beim Tauchen in die Stirnhöhle gedrungen ist. Man schnäuzt sich und wendet sich ab. Aber man wird misstrauisch, sich selbst gegenüber, und die Annahmen über das eigene Leben geraten ins Wanken. Irgendwann wird der Verdacht unabweisbar, dass es zwischen damals und heute, zwischen der taumelnden Ungebundenheit und dem vollkommen geerdeten Familienwesen, doch noch Verbindungen gibt. Dass in dem sprunghaften, schnell ver-und entliebten Mädchen von früher wohl schon die verlässliche Mutter, in der Mutter aber immer noch ein Teil jenes Mädchens steckt.
Ich umarme Krystyna zum Abschied. Sie riecht gut. Das wird auch dieser Mann bald bemerken. Nun gibt es beinahe eine körperliche Brücke von mir zu ihm, dem Unbekannten. Ich lasse sie los, er wird sie sich holen. Wie sie früher aussah, wird er zwar im Gegensatz zu mir nie wissen. Aber vielleicht stimmt sie gar nicht, die Schichten-Theorie, die besagt, dass alles, was einem widerfahren ist, verborgen vorhanden bleibt. Dass sich das Leben um einen anlagert wie die Ringe um den Baum. Vielleicht ist die Krystyna von damals nur eine Erinnerung, wie eine Fotografie. All ihre Zellen sind längst erneuert. Dann wäre ein Seitensprung kein Körperstempel, der an ihr bleibt und Gift verströmt, sondern nur ein winziger Splitter Zeit, den der fremde Mann Richard gestohlen hat. Vermutlich stehlen wird.
Ich nehme ein Taxi zum Flughafen. Ich werde Mor nichts davon erzählen. Die Geschichte bleibt mit Krystyna in Wien. Sie wird auch zu meinem Geheimnis.
Am Tag, an dem Krystyna auf ihre Konferenz fährt und ich versprochen habe, an sie zu denken, ruft vormittags Emmys Schule an, weil Emmy ohnmächtig geworden ist.
Ich verbringe den Vormittag mit dem in sich gekehrten Kind in der Ambulanz des Kinderkrankenhauses, weil der Schularzt den Verdacht geäußert hat, es könnte eine Art epileptischer Anfall gewesen sein. Das fehlte noch. Mor ist
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