Queenig und spleenig - Wie die Englaender ticken
der anderen Straßenseite in auf- oder absteigender Reihe zu finden sind. In England kennt man dieses System zwar auch, verwendet aber genauso gern ein anderes, bei dem die Zahlen an nur einer Straßenseite hoch laufen, dann an einer x-beliebigen Stelle unvermittelt die Straßenseite wechseln und auf der anderen Straßenseite in die andere Richtung weiter laufen. Oder in einer versteckten Seitenstraße weiter gehen. Oder ganz einfach aufhören. Manchmal fehlen einfach ein, zwei Nummern in einer ansonsten völlig normalen Zahlenreihe. Dafür teilen sich andernorts mehrere Häuser ein und dieselbe Nummer. Dazwischen stehen zur Auflockerung ein paar Häuser, die grundsätzlich keine Nummer haben, dafür aber schöne Namen tragen wie Rose Cottage, Corner Place oder Seaview („Rosenhäuschen“, „Eckplatz“, „Meeresblick“), was besonders hilfreich ist, wenn weit und breit weder Rosen noch Ecken noch das Meer zu sehen sind. Wie viele Menschen wohl in England für immer verloren gehen, nur weil sie mal eben einen Bekannten zu tea and fruit cake besuchen wollten? Geben Sie nicht auf! Wenn Sie endlich die richtige Hausnummer sehen, haben Sie es geschafft. Theoretisch jedenfalls. Denn anders als in Deutschland, wo an vielen Haustüren praktischerweise weithin sichtbare Namensschilder aus Salzteig angebracht sind, findet man an vielen englischen Haustüren: nothing . Macht nichts, klingeln kann man ja trotzdem. Also, könnte man zumindest, wenn da denn eine Klingel wäre …
Haben Sie nun – auf welche Weise auch immer – endlich Einlass gefunden und die vorgeschriebenen fünf Minuten mit Ihrem Gastgeber im engen Flur gestanden und über das wunderbare Wetter salbadert, wird man Sie wahrscheinlich – das ist eine alte englische Sitte – zur Hausbesichtigung einladen. Das geht in der Regel zackig, falls Ihr Gastgeber nicht der Earl of Kent oder Robbie Williams ist. Engländer haben nämlich die kleinsten Häuser in ganz Europa: Durchschnittlich niedliche 76 Quadratmeter messen sie – in London können Sie die Zahl gleich noch mal durch vier teilen. Die meisten Häuser sind nach dem Prinzip Two up, two down aufgeteilt, was so viel heißt wie „zwei Zimmer oben, zwei Zimmer unten.“ Anfühlen tut es sich allerdings eher wie zehn halbe Zimmer oben, zehn halbe Zimmer unten. Denn englische Architekten haben eine ausgeprägte Leidenschaft dafür, selbst kleinste Räume mit Vorräumen, Dielen, Gängen, Nischen, Kammern und Durchgängen zuzubauen, die ihrerseits alle noch mal mit Türen versehen sind. Keine Sorge: Wenn Sie ganz dicht an Ihrem Gastgeber dranbleiben, können Sie sich gar nicht verlaufen.
Sie werden sicher sehr bald feststellen, dass es trotz all der verschachtelten Räumchen überall zieht wie Hechtsuppe.
Das liegt nicht etwa daran, dass Ihr Gastgeber vor Ihrem Besuch alle Fenster aufgerissen hätte, um die schlechte Luft rauszulassen – diese seltsame Lüftungsmanie haben nur Deutsche – sondern daran, dass arktische Winde in England ungehindert durch alle Fenster,- Tür-, Wand- und Dachritzen pfeifen. Und durch die Fensterscheiben natürlich, weil diese in der Regel nicht doppelt, sondern einfach verglast sind . 15 Da retten auch die fipsigen Gardinen vor den Fenstern nichts mehr, sind sie schließlich auch nur dazu da, um heimlich zu gucken, was der Nachbar in Nummer 76 von Dark Desires geliefert bekommt. Auch durch Türen zieht es. Wer in einer englischen Krimiserie gesehen hat, wie ein Polizist auf Verbrecherjagd schwuppdiwupp (hey presto) die Türe zum Bad durchtreten hat, als wäre sie aus Oblatenpapier, weiß, warum: Sie ist aus Oblatenpapier. Ach ja, und da hierzulande übliche Isolierungen in England völlig unüblich sind, zieht es auch noch durch die Wände. Und, das sei zu guter Letzt erwähnt: Es zieht auch noch von unten kalt und feucht in die Knochen, weil Engländer nämlich selten einen Keller haben. Aber wozu gibt es in englischen Häusern tonnenweise warme Federbetten, Überdecken und Kissen, deren meist florale Muster sich im Übrigen oft entzückenderweise mit dem Muster des Sofas, der Sessel und der Vorhänge decken? Natürlich haben die meisten Engländer, genau wie Deutsche, Zentralheizung. Sie schalten diese sogar gelegentlich ein, wenn sie zum Beispiel mitten in der Nacht aufwachen und ihren eigenen Atem als Wölkchen sehen oder innen an den Fenstern Eiszapfen hängen. Außerdem gehört zu jedem englischen Wohnzimmer ( living room beziehungsweise lounge, Sie wissen schon) ein
Weitere Kostenlose Bücher