Queenig und spleenig - Wie die Englaender ticken
der falsche Stuck an der Decke oder die Löwenkopf-Türgriffe, über die sie gerade in humorigem Ton herziehen wollten, ein Eigenwerk des letzten Wochenendes sind!
Selbst wenn Ihr Gastgeber in typisch englischer Manier alles, was er fabriziert hat, mit einer wegwerfenden Handbewegung und einem verächtlichen „Ach, das? Nur so eine alberne Idee von mir …“ kommentieren und seine handwerklichen Fähigkeiten als absolut katastrophal bezeichnen wird, sind – da können Sie sicher sein – die absonderlichen Ergebnisse dieses Werkelns sein ganzer Stolz. Engländer finden an ihrem Haus immer etwas zu tun.
Home improvements , „Heim-Verbesserungen“, nennen sie das, auch wenn manche Verbesserungen tatsächlich schlimme Verschlechterungen sind, die auf lange Sicht dazu führen, dass das Eigenheim (in dramatischen Fällen die ganze Nachbarschaft) den Bach runter geht. Hilfestellung geben dabei Dutzende Heimveredelungs-TV-Shows (home improvement-tv-shows). Dazu später mehr.
Noch leidenschaftlicher werkelt der Engländer nur in seinem Garten, angestachelt von Sendungen wie Gardeners’ World und Ground Force , die seit einigen Jahren wie Pilze aus dem Boden schießen. Besonders beliebt bei Engländern über fünfzig ist die Chelsea Flower Show , die Chelsea jedes Jahr für ein paar Tage in eine Rentner-Hochburg verwandelt. Hunderte von selbsternannten „Grünen Fingern“ ( green fingers ; Grüne Daumen sind den Engländern zu wenig) diskutieren in Heimgärtner-Blogs über die Vorzüge von kabellosen Kettensägen und darüber, mit welcher Heckenschere man seiner Gartenhecke den besten Brazilian Cut verpasst oder alles ausrottet, was Milben, Läuse oder Bienen anziehen könnte. Gibt man bei Amazon.co.uk den Suchbegriff „Garden“ ein, bekommt man 427.000 Ergebnisse, mehr als doppelt so viel wie bei Amazon.de. Der englische Frühling kündigt sich nicht etwa durch zartes Vogelgezwitscher an, sondern durch das Knattern von Aufsitzrasenmähern und Rasentrimmern, mit denen Millionen von englischen Gartenbesitzern Freddie-Krüger-artig über die erwachende Vegetation herfallen. Kein Wunder, dass in besagter Saison die Notaufnahmen englischer Krankenhäuser ( Accidents & Emergencies , kurz: A&E) voll von erdkrumenbedeckten Männern in Gartenkittel, Clogs und Sonnenhütchen sind, die sich Insektenvernichter ins Auge gesprüht oder mit der Nylonschnur der Motorsense die Zehenkuppen abgefräst haben.
Soviel Leidenschaft bedeutet übrigens mitnichten, dass Engländer ihre Gärten – wie so manch deutscher Kleingärtner – mit Lupe und Nagelschere schneiden. Zwar sind die handtuchgroßen Rasenflächen zur Straße hin, die von Nachbarn und Spaziergängern eingesehen werden können, so gepflegt, dass man darauf Profi-Tennis spielen könnte. In den badehandtuchgroßen Hintergärten aber, die vor öffentlichen Blicken geschützt sind, fliegen Kraut und Rüben sowie Müllsäcke, Backsteine, Gummistiefel und kaputte Kinderfahrräder lustig durcheinander. Alles schön abgeschirmt von windschief zusammengenagelten Sperrholz-Zäunen (garden fences), die gerade so hoch sind, dass Nachbarn nicht sehen können, was man eigentlich oben ohne im Garten macht. 17
Sie sind aber wiederum genau so niedrig, dass man – zumindest auf Zehenspitzen – bequem ein paar Worte übers Wetter über sie hinweg wechseln kann.
„ Gartenarbeitsbeurlaubung“ (gardening leave) heißt in England übrigens das, was in Deutschland „Vertragliches Wettbewerbsverbot“ genannt wird; der Zeitabschnitt also, in dem man nach der Kündigung von seinem ehemaligen Auftraggeber dafür bezahlt wird, dass man nicht für die Konkurrenz arbeitet. Vielleicht hoffen englische Arbeitgeber, dass man beim Gießen von Gänseblümchen und Geranien alle Betriebsgeheimnisse vergisst…? Auf jeden Fall klingt „Ich bin auf Gartenarbeitsbeurlaubung“ (I’m on gardening leave) viel eleganter als „Ich wurde gefeuert.“ Und in der erzwungenen freien Zeit kann man nicht nur im eigenen Garten buddeln, TV-Sendungen übers Gärtnern gucken oder die Gärten seiner Freunde bewundern, sondern auch einen erhellenden Ausflug zum Britischen Rasenmähermuseum in Southport machen. Welche andere Nation außer England hat schon so etwas Wunderbares vorzuweisen?
Natürlich hat nicht jeder Engländer das Glück, ein Haus mit Garten sein eigen nennen zu können. Dennoch gibt es in England anteilsmäßig viel mehr Hausbesitzer als in Deutschland. Das liegt unter anderem daran, dass die
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