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Quellcode

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Titel: Quellcode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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hat ein virtuelles Skelett, so dass ich die Figur in ihrer Umgebung aufstellen und zurechtrücken kann. Dann füge ich mit digitalen Lichtquellen Schatten und Reflexionen hinzu.« Er fixierte Hollis, um festzustellen, ob sie zuhörte. »Das Modellieren ist, wie wenn man Ton knetet und formt. Ich mache das über einer inneren Struktur von Gelenken – dem Skelett mit einem Rückgrat, Schultern, Ellbogen, Fingern. Es ist nicht viel anders, als Figuren für ein Spiel zu entwerfen. Dann modelliere ich mehrere Köpfe, mit leicht unterschiedlichem Gesichtsausdruck, und kombiniere sie.«
    »Warum?«
    »Es ist raffinierter. Der Gesichtsausdruck sieht dann nicht so gekünstelt aus. Ich koloriere sie, dann wird jede Oberfläche des Modells mit einer Textur überzogen. Ich sammle Texturen. Einige davon sind Scans von echter Haut. Bei dem River-Werk habe ich die Haut nicht richtig hingekriegt. Dann habe ich die Haut einer sehr jungen Vietnamesin entdeckt. Das hat funktioniert. Leute, die ihn kannten, haben es mir bestätigt.«
    Hollis legte ihren Burger hin und schluckte. »Ich habe mir nicht vorgestellt, dass du das alles tust. Irgendwie dachte ich, es würde alles einfach … passieren? Mit Hilfe der … Technik? «
    Er nickte. »Ja, das höre ich oft. Die ganze Arbeit, die ich damit habe, wirkt etwas altmodisch, archaisch. Ich muss virtuelle Lampen positionieren, so dass die Schatten korrekt fallen. Dann braucht es noch einen gewissen Grad an Atmosphäre, für die Umgebung.« Er zuckte mit den Schultern. »Das Original existiert nur auf dem Server, wenn ich fertig bin, in virtuellen Dimensionen von Tiefe, Breite, Höhe. Manchmal denke ich, sogar wenn der Server ausfällt und mein Modell mit sich nimmt, würde dieser Raum noch existieren, zumindest als mathematische Möglichkeit, und dass der Raum, in dem wir leben …« Wieder runzelte er die Stirn.
    »Ja?«
    »… vielleicht nach demselben Prinzip funktioniert.« Er zuckte noch einmal mit den Schultern und nahm seinen Burger in die Hand.
    Du machst mir wirklich Gänsehaut, dachte Hollis.
    Sie nickte bedeutungsvoll und griff nach ihrem Burger.

9. EIN KALTER BÜRGERKRIEG
    Der SMS-Ton weckte ihn. Er griff im Dunkeln nach seinem Handy. Kurz lief Volapuk über das Display. Alejandro stand draußen und wollte herein. Es war zehn nach zwei am Morgen. Er setzte sich auf, zog Jeans, Socken und Pullover an. Dann seine Boots, deren Schnürsenkel er sorgfältig band. Auch das gehörte zum Protokoll.
    Er schloss die Tür hinter sich. Im Hausflur war es kalt, im Lift etwas wärmer. Im engen, neonerhellten Eingangsbereich unten hämmerte er einmal mit der Faust an die Tür zur Straße und bekam von seinem Cousin als Antwort ein dreimaliges Hämmern, gefolgt von einem einzigen Schlag. Er öffnete die Tür und Alejandro kam herein, in eine Wolke aus kalter Luft und Whiskydunst gehüllt. Tito verschloss die Tür hinter ihm.
    »Du hast geschlafen?«
    »Ja«, antwortete Tito und ging zum Aufzug.
    »Ich war bei Carlito«, sagte Alejandro und folgte Tito in den Aufzug. Tito drückte auf einen Knopf und die Aufzugtür schloss sich. »Carlito und ich haben unser eigenes Geschäft.« Das hieß: getrennt von den Geschäften der Familie. »Ich habe ihn nach deinem Alten gefragt.« Die Aufzugtür öffnete sich.
    »Warum hast du das getan?« Tito schloss die Tür zu seinem Zimmer auf.
    »Weil ich das Gefühl hatte, dass du mich nicht ernst nimmst.«
    Sie betraten das Dunkel von Titos Zimmer. Er schaltete die kleine Lampe an, die an seinem MIDI-Keyboard befestigt war. »Soll ich Kaffee machen? Tee?«
    »Zavarka?«
    »Beuteltee.« Tito machte Tee nicht mehr nach russischer Art, sondern ließ seine Teebeutel stattdessen in einem billigen, chinesischen Tschainik ziehen.
    Alejandro hockte sich ans Fußende von Titos Matratze, die Knie bis vors Gesicht hochgezogen. »Carlito kocht Zavarka. Er nimmt einen Löffel Marmelade dazu.« Seine Zähne schimmerten im Licht der MIDI-Lampe.
    »Was hat er dir erzählt?«
    »Unser Großvater war der Stellvertreter von Semenow«, sagte Alejandro. Tito machte seine Kochplatte an und füllte den Kessel mit Wasser.
    »Wer war das?«
    »Semenow war Castros erster KGB-Berater.«
    Tito sah seinen Cousin an. Das hier hörte sich wie ein Märchen an, wenn es auch kein völlig unbekanntes war: Und dann trafen die Kinder ein fliegendes Pferd, hatte seine Mutter ihm erzählt. Und dann traf Großvater Castros KGB-Berater. Er wandte sich wieder der Kochplatte zu.
    »Großvater war an

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