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der Bildung der Dirección General de Inteligencia beteiligt, wenn auch nicht ganz so offensichtlich. «
»Hat Carlito dir das erzählt?«
»Ich habe es schon gewusst. Von Juana.«
Tito dachte darüber nach, als er den Kessel auf die Platte stellte. Die Geheimnisse ihres Großvaters konnten mit ihm nicht gänzlich verschwunden sein. Legenden wucherten wie Lianen in einer Familie wie der ihren, und die Abfallgrube ihrer gemeinsamen Geschichte war zwar tief, aber auch eng, da Geheimhaltung nötig war. Juana, die so lange für die Produktion der erforderlichen Dokumente verantwortlich war, hätte gerne einen gewissen Überblick gehabt. Und Juana, das wusste Tito, war die Tiefgründigste von ihnen allen, sie war die Ruhigs-te, die Geduldigste. Er besuchte sie oft hier. Sie ging mit ihm in den EL Siglo XX Supermarket, um kubanische Lebensmittel wie Malanga und Boniato zu kaufen. Die Saucen, die sie dafür zubereitete, waren von einer Intensität, die ihm schon frem vorkam, aber ihre Empanadas machten ihn selig. Sie hatte ihm nie von diesem Semenow erzählt, aber ihn andere Dinge gelehrt. Er schaute zu der Vase hinüber, die Oshun in sich barg. »Was hat Carlito gesagt über den Alten?«
Alejandro blickte über seine Knie hinweg. »Carlito sagt, es herrsche Krieg in Amerika.«
»Krieg?«
»Ein Bürgerkrieg.«
»Es gibt keinen Krieg in Amerika.«
»Als Großvater half, die DGI zu gründen, in Havanna, führten da die Amerikaner Krieg mit den Russen?«
»Das war der ›Kalte Krieg‹.«
Alejandro nickte und umschloss mit den Händen seine Knie. »Ein kalter Bürgerkrieg.«
Tito hörte ein scharfes Klicken von Oshuns Vase her, dachte aber an Elegua, den, der die Wege öffnet und schließt. Er sah wieder zu Alejandro.
»Du verfolgst die politischen Ereignisse nicht, Tito.«
Tito dachte an die Stimmen im Russian Network of America, die irgendwie untergingen und sein Russisch mit sich zogen. »Ein wenig«, sagte er.
Der Kessel begann zu pfeifen. Tito nahm ihn von der Platte und schwenkte den Tschainik mit etwas heißem Wasser aus. Dann hängte er zwei Teebeutel hinein, goss wie immer schwungvoll Wasser darauf und legte den Deckel auf den Tschainik.
So wie Alejandro auf seinem Bett saß, erinnerte er Tito daran, wie er selbst früher mit seinen Kameraden dahockte, morgens vor der Schule, und sie einen hölzernen Kreisel von einem Pflasterstein zum nächsten trieben, während sich die Hitze des Tages in den Straßen rundum zusammenballte. Sie trugen damals weiße Shorts mit Bügelfalte und rote Halstücher. Spielte in Amerika irgendjemand mit Kreiseln?
Er ließ den Tee im Tschainik ziehen und setzte sich neben Alejandro auf die Matratze.
»Verstehst du, wie unsere Familie zu dem geworden ist, was sie ist, Tito?«
»Es fing mit Großvater an, und dem DGI.«
»Er war noch nicht lange in Kuba. Der KGB benötigte sein eigenes Netzwerk in Havanna.«
Tito nickte. »Auf Großmutters Seite ist die Familie immer in Barrio de Colon gewesen. Juana sagt, vor der Präsidentschaft Batistas.«
»Carlito sagt, dass Leute von der Regierung nach deinem Alten suchen.«
»Welche Leute?«
»Carlito sagt, das Ganze hier erinnert ihn jetzt an Havanna, an die Jahre, ehe die Russen gingen. Nichts läuft hier jetzt wie gewohnt. Er sagte mir, dass der Alte entscheidend dabei geholfen hat, uns hierher zu bringen. Das war große Zauberei, Cousin. Größer, als unser Großvater sie alleine zustande gebracht hätte.«
Tito hatte plötzlich wieder den Geruch der englischen Papiere in der Nase, in ihrer angeschimmelten Hülle. »Du hast Carlito gesagt, dass du es für gefährlich hältst.«
»Ja.«
Tito stand auf, um zwei Gläser mit Tee aus dem Tschainik zu füllen. »Und er hat dir gesagt, dass unsere Familie eine Verpflichtung hat?« Er riet. Wieder sah er Alejandro an.
»Und dass ganz speziell nach dir verlangt wird.«
»Warum?«
»Du erinnerst ihn an deinen Großvater. Und an deinen Vater, der ebenfalls für diesen Alten arbeitete, als er starb.« Tito reichte Alejandro ein Glas Tee. »Gracias«, sagte Alejandro. »De nada«, entgegnete Tito.
10. NEUES DEVON
Milgrim träumte gerade vom sich geißelnden Messias, vom Falschen Balduin und dem Meister aus Ungarn, da drang Brown in seinen erhitzten Schlaf, grub seine Daumen in Milgrims Schultern und schüttelte ihn grob.
»Was ist das?«, fragte Brown immer wieder, eine Frage, die Milgrim als existenziell verstanden hatte, bis Brown ihm die Daumen am Ansatz der Unterkiefer in den
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