Quellcode
sie einen ihrer schwarzen Make-up-Beutel, leerte ihn aus und tat nur das Nötigste hinein. Die Schuhe aus der Ausgehtüte waren vielseitige schwarze Ballerinas von einem katalanischen Designer, der sich schon lange ein anderes Betäti-gungsfeld gesucht hatte.
»Raus jetzt hier!«, befahl sie der Frau im Spiegel.
Und nahm wieder keine Notiz von der Videokunst im Aufzug.
Die Tür öffnete sich zu dem lärmenden Treiben des nächtlichen Barbetriebs in der Starck-Lobby. Ein braunhaariger Hotelpage in hellem Markenanzug stand mitten in der pseudoislamischen Schnörkelprojektion des Lichtteppichgeräts und grinste ihr breit entgegen.
Seine Funktionärszähne, zufällig beleuchtet von einem einzelnen sonnigen Lichtstrahl, präsentierten sich schimmernd wie auf einer Reklametafel. Als sie auf ihn zuging und mit den Augen nach dem belgischen Werbemagnaten suchte, wurde das Lächeln noch breiter und strahlender. Gerade als sie an ihm vorbeigehen wollte, ertönte die Stimme, die sie zuletzt an ihrem Handy gehört hatte, und sie zuckte zusammen: »Miss Henry? Hubertus Bigend.«
Anstatt laut zu schreien, nahm sie seine Hand, die sich fest, trocken und weder warm noch kalt anfühlte. Er erwiderte ihren Händedruck leicht und sein Lächeln verbreiterte sich noch mehr.
»Erfreut, Sie kennen zu lernen, Mr. Bigend.«
»Hubertus, bitte«, verbesserte er sie. »Sind Sie mit dem Hotel zufrieden?«
»Ja, danke.« Was sie für einen Hotelpagenanzug gehalten hatte, war aus gepflegtem beigem Wolltuch. Sein himmelblaues Hemd stand am Kragen offen.
»Wollen wir die Skybar ausprobieren«, fragte er und blickte auf seine Armbanduhr in der Größe eines kleinen Aschenbe-chers. »Oder wollen Sie lieber hier bleiben?« Er zeigte auf den hohen, schmalen und surrealistisch langen Alabastertisch auf staksig-biomorphen Starck-Tischbeinen, der die Lobbybar darstellte.
Je mehr Leute, desto besser, sagte ihr eine innere Stimme. Am liebsten wäre sie gleich hier geblieben, um möglichst schnell den Pflichtdrink und das höflichkeitshalber notwendige Minimum an Konversation hinter sich zu bringen.
»Skybar« , sagte sie aus welchem Grund auch immer, aber mit der leisen Hoffnung, dass sie vielleicht gar nicht hineingelassen, geschweige denn einen Tisch bekommen würden. Als er ihr in
Richtung des Pools und der beetgroßen Pflanzkästen mit je einem Ficusbaum darin voranging, kamen ihr Bruchstücke der Erinnerung an die letzten Male, als sie hier war, bei der Trennung der Band und kurz nach der offiziellen Bekanntgabe. Laut Inchmale hielten nur Leute, die das Musikgeschäft nicht kannten, das Filmbusiness für den Gipfel an hinterfotzigem und arschkriecherischem Hyänenverhalten.
Sie gingen an einer Riesenmatratze in Brobdingnag-Dimensionen vorbei, in deren Tiefen eine Schar hinterfotzigerarschkriecherischer-hyänenartiger und außergewöhnlich attraktiver, junger Leute mit ihren Getränken lagerte. Vielleicht schätzte sie die Leute ja falsch ein, aber sie sahen allesamt aus wie A&R-Manager der Plattenindustrie. Aber das tat hier fast jeder.
Bigend ging mit ihr am Türsteher vorbei, als existierte dieser gar nicht. Im Gegenteil: Der bluetoothgewappnete Türsteher überschlug sich fast, Bigend rechtzeitig aus dem Weg zu gehen, denn Bigend war ganz offensichtlich nicht gewohnt, dass ihm emand im Weg stand.
Die Bar war rappelvoll, wie sie es nach Hollis' Erinnerung immer war, aber Bigend hatte keine Schwierigkeiten, einen Tisch zu bekommen. Sein Blick strahlte, und er sah wuchtig und in ihren Augen irgendwie belgisch aus, als er ihr den schweren Bibliothekssessel aus Eiche zurechtrückte. »Ich war ein ziemlicher Fan von The Curfew«, raunte er ihr dabei ins Ohr.
Und sicher überhaupt ein leidenschaftlicher Goth-Rock-Fan, hätte sie beinahe gesagt. Die Vorstellung von einem Riesenbaby von belgischem Werbemagnaten, der im Dunkel eines Curfew -Konzerts sein Feuerzeug in die Luft reckt, wollte sie lieber nicht vertiefen. Heutzutage hoben sie laut Inchmale ihre Handys in die Höhe, und die Displays verströmten eine erstaunliche Menge Licht. »Vielen Dank«, sagte sie und ließ in der Schwebe, ob sie ihm dafür dankte, dass er sich als Curfew- Fan geoutet, oder dafür, dass er ihr den Sessel hingeschoben hatte.
Wie er ihr so gegenübersaß, die beigen Ellbogen auf dem Tisch, die Fingerspitzen seiner manikürten Hände aneinander gelegt, sah er fast aus wie einer dieser männlichen Hollis-Henry-Aficionados, die in ihr immer die Person von einem
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