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Titel: Quellcode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Ganzkörperporträt sehen wollten, das Anton Corbijn fotografiert hatte und auf dem sie einen abgefahrenen Tweed-Minirock trug.
    »Meine Mutter hat The Curfew sehr gern gemocht«, begann er unerwartet persönlich. »Sie war Bildhauerin. Phaedra Seynhaev. Als ich sie zum letzten Mal in ihrem Pariser Atelier besuchte, lief gerade Ihre Musik. Ganz laut.« Er lächelte.
    »Danke.« Hollis wollte nicht auf das Thema tote Mutter einsteigen. »Aber jetzt bin ich Journalistin. Da gibt es keine Lorbeeren, auf denen ich mich ausruhen könnte.«
    »Rausch ist ganz begeistert von Ihnen als Journalistin«, sagte Bigend. »Er will, dass Sie fest für ihn arbeiten.« Der Ober kam und nahm die Bestellung auf: ein Gin Tonic für Hollis und ein Piso Mojado für Bigend. Das Getränk war Hollis neu.
    »Erzählen Sie mir von Node«, schlug sie vor. »Es scheint nicht gerade eine Menge Klatsch in der Branche auszulösen.«
    »Nein?«
    »Nein.«
    Er senkte die Fingerspitzen. »Anti-Buzz«, meinte er. »Sich durch Abwesenheit definieren.« Sie wartete auf ein Zeichen von ihm, dass er scherzte. Aber das tat er nicht. »Das ist lächerlich.«
    Das Lächeln wurde hervorgeholt, strahlte, verschwand wieder und dann kamen die Drinks, in Wegwerfplastik, mit dem das Hotel sich und seine Gäste vor Verletzungen am Poolrand bewahrte. Hollis warf einen kurzen Blick auf die restlichen Gäste. Wenn genau in diesem Moment eine Cruise Missile das Wellblechdach der Skybar getroffen hätte, hätte das People -Magazin sein nächstes Cover bestimmt nicht auswechseln müssen. Die Fancy People, wie Inchmale sie immer genannt hatte, schienen längst woanders zu sein. Hollis war das recht für den gegenwärtigen Zweck. » Sagen Sie …«, begann sie und lehnte sich leicht nach vorn über ihren Gin.
    »Ja?«
    »Chombo. Bobby Chombo. Warum legt Rausch so großen Wert darauf, dass ich ihn treffe?«
    »Rausch ist der Redakteur für diese Story«, entgegnete Bigend milde. »Vielleicht sollten Sie ihn fragen.«
    »Aber da geht noch etwas anderes vor«, drängte sie. Sie fühlte sich, als würde sie ausziehen, um den Mongolischen Todeswurm auf seinem eigenen Terrain herauszufordern. Das war vielleicht keine gute Idee, aber sie musste es tun. »Sein Drängen schien nichts mit der Story zu tun zu haben.«
    Bigend musterte sie eingehend. »Aha. Gut. Dann hat es vielleicht mit einer anderen Story zu tun. Einer viel größeren. Ihrer zweiten Node -Story, wie wir hoffen. Sie sind gerade von einem Treffen zurückgekommen mit ihm – Chombo?«
    »Ja.«
    »Und was war Ihr Eindruck?«
    »Er weiß, dass er etwas weiß, was niemand anderes weiß. Oder denkt, dass er das tut.«
    »Und was denken Sie, dass das sein könnte, Hollis? Darf ich Hollis zu Ihnen sagen?«
    »Ja, bitte. Ich denke, Bobby ist gar nicht so scharf auf seine Position in irgendeiner Locative-Art-Avantgarde. Er steht zwar gerne an der Spitze irgendeines durchschlagenden Trends, schätze ich, aber die ganze Routinearbeit, die damit verbunden ist, langweilt ihn zutiefst. Als er mithalf, diese Locative-Art-Geschichte zu entwickeln, wieweit er auch immer beteiligt war, hat er sich wahrscheinlich nicht gelangweilt.«
    Bigends Lächeln blitzte wieder auf. Wie die Lichter eines Zugs, der einem nachts entgegenkommt. Dann verlosch es wieder, als führe man in einen Tunnel. »Erzählen Sie weiter.« Er nippte an seinem Piso, der wie grüner Hustensaft aussah.
    »Und es ist nicht dieses DJ-Ding«, sagte sie, »oder seine Mash-ups oder was immer er offiziell treibt. Es ist das, weswegen er den Boden von seinem Loft entsprechend dem GPS-Netz markiert. Er schläft niemals zweimal im selben Quadrat. Was ihm das Gefühl gibt, bedeutend zu sein, macht ihn gleichzeitig verrückt.«
    »Und was könnte das sein?«
    Sie dachte an den Frachtcontainer aus Drahtgeflecht und wie Chombo ihr den Helm so abrupt vom Kopf gerissen hatte, dass sie fast umfiel, zögerte aber dann.
    »Piraten«, sagte Bigend.
    »Piraten?«
    »Die Straße von Malakka und das südchinesische Meer. Kleine, schnelle Boote, die Jagd auf Frachtschiffe machen. Sie operieren von Lagunen aus, von kleinen Buchten, Inselchen. Von der malaiischen Halbinsel aus. Java, Borneo, Sumatra …«
    Hollis sah von Bigend zu der Menge rundum und fühlte sich, als wäre sie in einem Pitch Meeting gelandet. Eine gespenstische Drehbuchidee, die bisher nahe dem balkengestützten Wellblechdach der Bar geschwebt war, überfiel nun sie, das Opfer erster Wahl an diesem Tisch. Ein Piratenfilm.

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