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dem tibetischen Mystizismus. Das Prominenten-Ich führt ein eigenes Leben. Unter den richtigen Umständen kann es den Tod seines Subjekts unendlich lange überdauern. Genau darum geht es bei jeder Elvis-Erscheinung.«
Das erinnerte Hollis sehr an Inchmales Sicht der Dinge, obwohl sie ähnlich dachte.
»Was passiert, wenn das Prominenten-Ich zuerst stirbt?«, wollte sie wissen.
»Sehr wenig«, meinte er. »Das ist normalerweise das Problem. Aber Bilder dieses Kalibers dienen als Schutzwall dagegen. Und Musik ist die zeitloseste Kunstform überhaupt.«
»›Die Vergangenheit ist nicht tot. Sie ist nicht einmal vergangen‹«, zitierte sie Inchmale, der damit Faulkner zitiert hatte. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, den Kanal zu wechseln?«
Er gestikulierte in Richtung Bildschirm. Statt ihrem Bild erschien der Hook, der sowjetische Frachthubschrauber, aufgenommen von unten. »Wozu soll das Ganze eigentlich da sein?« Sein Lächeln blitzte auf wie ein Leuchtturm. Im ganzen Raum gab es kein Fenster, und im Moment war der Bildschirm die einzige Lichtquelle.
»Sie mögen es, wenn jemand verunsichert ist, oder?«, fragte Hollis weiter.
»Ja …?«
»Dann müssen Sie mich jetzt auch mögen.«
»Ja, ich mag Sie«, sagte Bigend. »Und es wäre ziemlich eigenartig, wenn Sie es nicht wären. Verunsichert.«
Hollis ging zum Konferenztisch. Sie fuhr mit einem Finger über die schwarze Oberfläche und hinterließ eine schwache Spur im Gipsfaserstaub. »Gibt es dieses Magazin wirklich? «
»Potenziell ja.«, sagte Bigend.
»Also auch potenziell nein«, erwiderte Hollis.
»Stellen Sie sich vor, ich bin Ihr Mäzen. Bitte.«
»Klingt nicht gut, danke.«
»In den frühen Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts gab es einige Leute in diesem Land, die noch nie Musikaufnahmen gehört hatten«, sagte Bigend. »Nicht viele, aber doch einige. Das ist noch nicht einmal hundert Jahre her. Ihre Karriere als ›Auf-nahmekünstlerin‹ (Bigend deutete die Anführungszeichen mit seinen Fingern an) fand statt gegen Ende eines Zeitfensters, das weniger als hundert Jahre gedauert hat und in dem den Kon-sumenten aufgenommener Musik die Möglichkeiten fehlten, selbst das zu produzieren, was sie konsumierten. Sie konnten Aufnahmen kaufen, aber sie nicht reproduzieren. Ihre Band trat auf die Bildfläche, als das Monopol auf die Produktionsmöglichkeiten gerade zu bröckeln begann. Vor der Zeit dieses Monopols wurden Musiker für ihre Vorstellungen bezahlt, druckten und verkauften die Noten ihrer Songs oder hatten Mäzene. Der Popstar, wie wir ihn kennen (bei diesen Worten verneigte sich Bigend leicht in ihre Richtung), war in der Tat ein Produkt aus einer Zeit vor der Allgegenwärtigkeit der Medien.«
»Einer was?«
»Einem Zustand, in dem ›Massen‹-Medien, wenn man so will, in der Welt existierten.«
»Im Gegensatz zu …?«
»Einem Zustand, in dem sie die Welt konstituieren.«
Das Licht im Raum veränderte sich, als er das sagte. Hollis hob ihren Blick zu dem Bildschirm, der nun von einer metallic-blauen Blue-Ant-Ameise eingenommen wurde.
»Was ist in Chombos Container?«, fragte Hollis.
»Es ist nicht Chombos Container.«
»Ihr Container?«
»Es ist nicht unser Container.«
»›Unser‹ sind Sie und wer?«
»Sie.«
»Es ist nicht mein Container.«
»Das sagte ich ja«, meinte Bigend. Und lächelte.
»Wem gehört er dann?«
»Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, Sie könnten es herausfinden.«
»Was ist darin?«
»Auch das wissen wir nicht.«
»Was hat Chombo damit zu tun?«
»Chombo hat offensichtlich einen Weg gefunden, herauszubekommen, wo er ist, zumindest in regelmäßigen Abständen.«
»Warum fragen Sie ihn dann nicht einfach?«
»Weil es ein Geheimnis ist. Er wird nicht übel dafür bezahlt, damit es ein Geheimnis bleibt. Und wie Sie vielleicht bemerkt haben, ist seine Persönlichkeit so gestrickt, dass er es liebt, Geheimnisse zu haben.«
»Wer bezahlt ihn denn?«
»Das scheint ein noch größeres Geheimnis zu sein.«
»Glauben Sie, dass es der Besitzer des Containers sein könnte?«
»Oder der letztendliche Adressat, so es einen solchen geben sollte? Ich weiß es nicht, Hollis, aber Sie sind die Person, mit der er meiner Meinung nach am ehesten sprechen wird.«
»Sie waren nicht dabei. Er war nicht besonders begeistert, dass Alberto mich mitbrachte. Und er schien auch nicht scharf darauf zu sein, mich noch mal einzuladen.«
»Und ich glaube, da irren Sie sich«, sagte Bigend. »Wenn er sich einmal
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