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Titel: Quellcode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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die seine Hände für Tito so aussehen ließen, als wären sie aus Holz geschnitzt, und schwarze Gummiüberschuhe über dem polierten Kalbsleder seiner italienischen Schuhe. Er sah konservativ aus, ausländisch, unassimiliert und irgendwie religiös.
    Er setzte sich links neben Tito. »Juana«, fragte er auf Spanisch, »geht es ihr gut?«
    »Ja«, sagte Tito. »Es scheint ihr gut zu gehen.«
    »Du hast ihn getroffen.« Das war nicht als Frage gemeint.
    »Ja«, antwortete Tito.
    »Du hast deine Instruktionen?«
    »Ja.«
    Tito spürte, wie Carlito etwas in seine Tasche gleiten ließ.
    »Búlgaro«, benannte Carlito das Objekt für ihn.
    »Geladen?«
    »Ja. Ein neues Ventil.«
    Die Pistolen des Bulgaren waren jetzt fast ein halbes Jahrhundert alt, funktionierten aber noch immer sehr präzise. Manchmal war es erforderlich, den Schrader-Ventileinsatz in dem flachen Stahlmagazin zu ersetzen, das gleichzeitig als Griff diente, aber ansonsten gab es bemerkenswert wenige Teile zum Auswechseln. »Geladen?«
    »Salz«, sagte Carlito.
    Tito erinnerte sich an die Salzpatronen mit ihren gelblichen Pergamentmembranen, die beide Enden einer zweieinhalb Zentimeter langen, sonderbar riechenden Pappröhre verschlossen.
    »Du musst dich jetzt vorbereiten. Aufs Weggehen.«
    »Für wie lang?« Tito wusste, dass diese Frage eigentlich nicht akzeptabel war, aber sie gehörte zu der Art von Fragen, bei denen Alejandro ihm beigebracht hatte, sie wenigstens in Erwägung zu ziehen.
    Carlito antwortete nicht.
    Tito war nahe dran, ihn zu fragen, was sein Vater für den alten Mann getan hatte, als er starb.
    »Er darf nicht gefasst werden.« Carlito griff mit seinen steifen, behandschuhten Händen an den Knoten in seinem Schal. »Du darfst nicht gefasst werden. Nur der Gegenstand, den du lieferst, darf in ihre Hände gelangen, und sie dürfen nicht den Verdacht haben, dass du ihn freiwillig an sie übergeben hast.«
    »Was schulden wir ihm, Onkel?«
    »Er hat für unseren Weg hierher gesorgt. Er hat zu seinem gestanden.«
    Carlito stand auf, als der Zug in die 59th Street einfuhr. Für einen Moment ruhte eine der Handschuhhände auf Titos Schulter. »Mach's gut, Neffe!« Er drehte sich um und war verschwunden.
    Tito spähte durch die einsteigenden Passagiere hindurch, in der Hoffnung, Vianca noch zu sehen, aber auch sie war fort.
    Er fasste in die Seitentasche seiner Jacke und fand die in Handarbeit hergestellte Pistole des Bulgaren. Sie war locker in ein frisches weißes Baumwolltaschentuch aus China eingeschla-gen, noch steif von Grundierleim.
    Wenn er sie aus der Tasche zog, würden die Leute um ihn herum denken, er wolle sich die Nase putzen. Ohne hinzusehen wusste Tito, dass der Pappzylinder mit dem gemahlenen Salz den kurzen Lauf vollständig ausfüllte. Er ließ sie, wo sie war. Nun, da die Gummidichtungen des Bulgaren durch Silikon ersetzt worden waren, war die Waffe bis zu 48 Stunden lang wirkungsvoll geladen.
    Das Salz, fragte Tito sich, war es bulgarisch? Wo waren diese Patronen angefertigt worden? In Sofia? In Moskau vielleicht? In London, wo der Bulgare angeblich gearbeitet hatte, ehe Titos Großvater ihn nach Kuba brachte? Oder in Havanna, wo er das Ende seines Lebens verbracht hatte?
    Der Zug verließ den Columbus Circle.

22. DRUM AND BASS
    Pamela Mainwaring, eine Engländerin, deren Stirn sich vollständig unter einem blonden Pony versteckte, fuhr Hollis in einem der großen silbernen VW-Sedans zurück zum Mondrian . Sie hatte schon für Blue Ant in London gearbeitet, erzählte sie bereitwillig, war aber dann weggegangen, um etwas anderes zu tun. Dann hatte Blue Ant sie gebeten, nach Amerika zu kommen, um bei der Firmenexpansion zu helfen. »Sie kannten Hubertus vorher noch nicht, oder?«, fragte sie Hollis, während sie den Freeway 101 entlangfuhren.
    »War das so offensichtlich?«
    »Er hat es mir gesagt, als er wegfuhr, um Sie zu treffen. Hubertus liebt es, neue Talente an Land zu ziehen.«
    Hollis sah hinaus zu den zerzausten Palmenkronen, die vor dem gräulich-pink erleuchteten Himmel schwarz vorbeizogen. »Jetzt, wo ich ihn kennen gelernt habe, wundert es mich, vorher noch nichts von ihm gehört zu haben.«
    »Er will nicht, dass man von ihm hört. Er will auch nicht, dass die Leute von Blue Ant hören. Man bezeichnet uns oft als die erste ›virale Agentur‹. Hubertus mag diesen Begriff nicht, und das aus gutem Grund. Die Agentur oder ihren Gründer in den Vordergrund zu rücken, ist kontraproduktiv. Er sagt, er wünschte,

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