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umdrehen oder stehen bleiben musste.
Die Onkel, die ihm Systema beigebracht hatten, waren selbst von einem Vietnamesen unterrichtet worden, einem ehemaligen Soldaten, der aus Paris gekommen war, um seinen Lebensabend in Las Tunas zu verbringen. Als Kind hatte Tito diesen Mann manchmal bei ländlichen Familienfeiern gesehen, aber niemals in Havanna. Gesprochen hatte er nie mit ihm. Der Vietnamese trug stets ein weites und kragenloses schwarzes Baumwollhemd, das er lose über den Hosenbund hängen ließ, und braune Plastiksandalen, abgewetzt zur Farbe des Staubs auf einer Dorfstraße. Wenn die älteren Männer dasaßen, Bier tranken und Zigarren rauchten, hatte Tito gesehen, wie er die zweistöckige Wand eines weiß getünchten Betonblocks hinaufkletterte, und dazu nur die flachen Mörtelrillen zwischen den Betonsteinreihen zu Hilfe nahm. Es war eine sonderbare Erinnerung, denn sogar als Kind hatte Tito das, was er dort sah, für unmöglich gehalten, im ganz konkreten Wortsinn. Kein Ap-plaus von den zusehenden Onkeln, überhaupt kein Geräusch, nur der blaue Rauch, der aufstieg, während sie ihre Zigarren pafften. Und der Vietnamese, der aufstieg wie dieser Rauch im Zwielicht, genauso schnell, während seine Gliedmaßen sich nicht so sehr bewegten, als vielmehr immer neue Wechselbeziehungen mit der Wand eingingen.
Als Titos Zeit kam, von den Onkeln unterrichtet zu werden, lernte er schnell und gut. Als für seine Familie die Zeit kam, Kuba zu verlassen, war sein Systema bereits stark ausgebildet, zur Freude seiner Onkel.
Und während er die Wege und Weisen der Onkel lernte, brachte Juana ihm auch die der Guerrero-Orishas bei: Elegua, Ogun, Oshosi und Oshun. Wie Elegua jede Straße öffnet, so macht Ogun sie mit seiner Machete frei. Der Gott des Eisens und der Kriege, der Arbeit; Herr über jede Technik. Die Zahl Sieben, die Farben Grün und Schwarz. Und all dies hielt Tito in sich, während er in Richtung Prince Street ging, die Technik des Bulgaren gehüllt in ihr Taschentuch in der Innentasche seiner schwarzen Nylonjacke von APC. Am äußersten Rand seiner Wahrnehmung ritt Oshosi, der Jäger und Pfadfinder unter den Orishas. Diese drei, zusammen mit Oshun, empfing jeder Initiierte der Guerreros. Juana hatte ihm diese Dinge beigebracht, damit er sich das Systema des Vietnamesen aus Paris besser zu Eigen machen konnte, wie sie anfänglich sagte. In den Augen der Onkel hatte er Bestätigung dafür gefunden, dass es funktionierte, aber er erzählte es ihnen niemals. Auch das hatte ihm Juana gelehrt: Wenn man Wissen in würdevoller Diskretion hielt, half das, die gewünschten Resultate zu erzielen.
Er sah Vianca auf einem kleinen Motorrad vorbeifahren, Richtung Downtown. Der farbenfroh bemalte, verspiegelte Helm drehte sich zu ihm und glänzte im Sonnenlicht. Bereits jetzt gestattete Oshosi ihm nur noch ungenaues Sehen. Das Leben auf der Straße, Fußgänger und Verkehr, wurden zu einem einzigen Lebewesen, einem organischen Ganzen. Als sein Kaffee halb ausgetrunken war, nahm er den Plastikdeckel ab, steckte sein Telefon in den Pappbecher und verschloss ihn wieder. Er entsorgte ihn im ersten Mülleimer, an dem er vorbeikam.
Als er die südwestliche Ecke Prince/Broadway erreichte, war er im Fluss mit den Guerreros, ein wachsamer und aktiver Wanderer inmitten einer unsichtbaren Prozession. Oshosi zeigte ihm den schwarzen und schwarzgewandeten Kaufhausdetektiv mit dem Knopf im Ohr, während Elegua ihn dessen Aufmerksamkeit entzog. Tito ging an dem dicken Mattglaszylinder des Kaufhausaufzugs vorbei und die Treppe hinunter, die in eine Bodenwelle eingelassen war. Er war oft hierher gekommen, um das sonderbare Gefühl auf dieser Treppe zu genießen, wie in einem Fahrgeschäft auf dem Jahrmarkt, das mitten im Schwung angehalten wird. Die Kleider hatten ihm nie gefallen, obwohl er mochte, wie sie ausgestellt waren. Sie sprachen zu sehr von Geld zur Straße. Es waren Kleider, die die Canal Street kopierte, auf ihre Weise anonym, aber zu leicht nachzuzeich-nen.
Er bemerkte einen weiteren Ladendetektiv, weiß, beiger Mantel, Hemd und Krawatte schwarz. Sie bekamen die Kleidung bestimmt gestellt, dachte er, als er um eine weiße Wand aus Bauelementen mit ausgestellten Kosmetika herumging und in der Schuhabteilung für Männer ankam.
Die Guerreros erkannten den Fremden, der hier stand, einen schwarzen Drei-Ösen-Alligator-Oxford in der Hand. Die Wucht ihres Erkennens war erschreckend.
Schwer und breitschultrig, das schwarze Haar
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