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Quellcode

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Titel: Quellcode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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fröhlich tanzend den Meeresströmungen folgten. Oder Turnschuhe. Irgendwas über Hunderte von linken Turnschuhen, die an den Strand gespült wurden, da die rechten zum Schutz vor Diebstahl extra transportiert worden waren. Und jemand auf einer Jacht im Hafen von Cannes, der Horrorgeschichten von Atlantikseglern erzählte. Dass über Bord gegangene Container nicht sofort sinken und somit eine unsichtbare Bedrohung für Segler darstellen.
    Sie schien die Angst, die sie zuvor gespürt hatte, im Großen und Ganzen durchlaufen zu haben. Sie war nicht vollständig durch Neugier ersetzt, aber sie musste doch zugeben, dass sie gespannt war. Zu den Furcht einflößenden Dingen bei Bigend gehörte ja wahrscheinlich, dass man mit ihm eine wirkliche Chance hatte, Sachen herauszufinden. Und was würde das dann bedeuten? Gab es Dinge, die in Erfahrung zu bringen für sich genommen schon äußerst problematisch war? Definitiv, obwohl es natürlich davon abhinge, wer wüsste, dass man sie wüsste.
    Mit einem Schlag weckte das kleine trockene Geräusch eines Briefumschlags, der unter der Tür hindurchgeschoben wurde, vertraut aus ihrem Tourleben, in ihr wieder die atavistische Furcht des Säugetiers vor einem Angriff.
    Sie machte Licht.
    Der Umschlag, den sie vom Teppich aufhob, enthielt einen Farbausdruck auf ganz normalem Papier, ein Foto des weißen Trucks neben der Laderampe an Bobby Chombos gemietetem Fabrikgebäude.
    Sie drehte es um und las Bigends keilschriftähnliche Druckbuchstaben: »Bin in der Lobby. Wir müssen reden. H.«
    Neugier. Es war Zeit, sie ein wenig zu befriedigen. Und Zeit, zu entscheiden, ob sie gewillt war, das hier weiterzumachen.
    Sie ging ins Badezimmer, um sich für ein neues Treffen mit Bigend zu wappnen.

39. WERKZEUGMACHER
    Milgrim erinnerte sich an den Union Square vor zwanzig Jahren, damals ein Platz mit kaputten Parkbänken und Müll, auf dem eine Leiche unter den eng aneinandergedrückten, reglosen Körpern der Obdachlosen gar nicht aufgefallen wäre. Es war ein ganz offener Drogenbazar, in dieser Zeit, als Milgrim selbst einen solchen Ort noch nicht nötig hatte. Nun waren Barnes & Noble, Circuit City, Whole Foods und Virgin dort vertreten und er selbst hatte sich, wie es schien, genauso weit in die entgegengesetzte Richtung entfernt. Er war abhängig von Substanzen, die einer Spannung auf dem Grund seiner Existenz entgegenwirkten; etwas zu fest Angezogenes, das permanent drohte, seine Person zum Kollabieren zu bringen, zum Implodieren, als ob eine Tensegrity-Struktur nach Buckminster Fuller ein Element enthielte, das sich permanent gegen das Gleichgewicht der Kräfte stemmte, das nötig war, die Struktur aufrechtzuerhalten.
    Obwohl er das so erlebte, war er noch immer fähig, zumindest theoretisch die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, dass diese grundlegende Anspannung, wie er sie heute kannte, zum Teil ein Artefakt dieser Substanzen war.
    Sei es, wie es sein mochte, dachte er, während Brown den silbernen Corolla an der Südseite der East Seventeenth parkte, gar nicht weit vom Union Square West. Die Extradosis des japanischen Pharmazeutikums, die er sich gegönnt hatte, hatte auf jeden Fall die Dinge aufgehellt, vom unerwartet schönen Wetter ganz zu schweigen.
    Durfte Brown hier parken? Es sah eigentlich nicht so aus, aber nachdem er seinem Kehlkopfmikro (oder vielleicht auch seinen inneren Dämonen) erklärt hatte, dass ›Team Rot Eins‹ auf dem Plan war, hob er seine schwarze Tasche vom Boden hinter Milgrims Sitz auf und zog zwei Parkerlaubnisschilder heraus, die etwas öde Amtliches hatten und in langen rechteckigen Hüllen aus transparentem, leicht gelblichem Plastik mit Saugnapfbefestigung steckten. TRANSIT AUTHORITY stand in schwarzer serifenloser Schrift darauf. Milgrim sah Brown zu, wie er seinen Daumen ableckte, den Speichel auf den konkaven Seiten der zwei Saugnäpfe des einen Schilds verteilte und es dann gegen die Innenseite der Windschutzscheibe presste, oben, direkt über dem Lenkrad. Er stellte die Tasche wieder hinter Milgrims Sitz, auf seinen Laptop. Dann drehte er sich zu Milgrim, holte seine Handschellen heraus und präsentierte sie auf seiner Handfläche, als wolle er sie Milgrim zum Kauf anbieten. Sie waren genauso professionell glanzlos wie seine anderen Lieblingsdinge. Wurden Handschellen aus Titan gemacht, fragte sich Milgrim. Zumindest hatten sie ein unechtes Titan-Finish wie die gefälschten Oakley-Sonnenbrillen, die in der Canal Street verkauft wurden. »Ich

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