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Grad existierte, den er selbst letztendlich für nötig halten würde.
Was sie nötig hatte war eine zweite Karriere. Das verstand sie jetzt, wenn auch mit Verspätung. Hubertus Bigend bei der Befriedigung seiner Neugierde zu helfen war es jedenfalls nicht und ganz sicher auch nicht irgendetwas anderes, das Blue Ant ihr vielleicht anbieten würde. Sie musste sich eingestehen, dass sie eigentlich schon immer schreiben wollte. Auf dem Gipfel des Erfolgs von The Curfew hatte sie immer wieder den Verdacht gehabt, dass sie zu den wenigen Sängern gehörte, die sich bei jedem Interview zwischendurch wünschten, sie stünden auf der anderen Seite des Mikrofons. Nicht dass sie Musiker interviewen wollte. Sie war einfach davon fasziniert, wie gewisse Dinge auf dieser Welt vor sich gingen, und warum Leute sie taten. Wenn sie über Dinge schrieb, veränderte sich ihre Wahrnehmung von ihnen und damit auch ihre Wahrnehmung von sich selbst. Konnte sie mit dieser Arbeit ihre täglichen Ausgaben bestreiten, dann würde der Musiktantiemen-Scheck ihre Miete bezahlen und sie konnte sehen, was sich weiter ergab.
Sie hatte während ihrer Curfew- Zeit ein paar Artikel für den Rolling Stone geschrieben und einige für Spin. Inchmale und sie hatten die erste umfängliche Geschichte der Mopars geschrieben, ihrer beider Lieblingsgaragenband aus den Sechzigern,
hatten aber niemanden gefunden, der bereit war, Geld in die Veröffentlichung zu stecken. Am Schluss war sie im In-House-Magazin von Jardines Plattenstore erschienen, und die Veröffentlichung war einer der wenigen Vorteile bei dieser Investiti-on gewesen.
Inchmale saß jetzt vermutlich in der Business Class, auf dem Weg nach New York, und las den Economist, eine Zeitschrift, die er ausschließlich im Flugzeug las. Er schwor, dass er beim Aussteigen jedes Wort daraus sofort und unwiederbringlich vergaß.
Sie seufzte. Lass es einfach, sagte sie sich selbst, wenn sie auch nicht wusste was.
Albertos virtuelles Monument für Helmut Newton erschien vor ihrem geistigen Auge. Silbernitrat-Girls geheimnisvoll umweht von Porno und Schicksal.
»Lass es«, sagte sie laut und schlief ein.
Kein Licht umrahmte die zahlreichen Lagen der Vorhänge, als sie aufwachte. Schon Abend. Sie lag in ihrer Laken-Röhre da, die sie jetzt nicht mehr auf dieselbe Weise brauchte. Ihre Sorge war zurückgewichen, nicht gerade bis hinter den Horizont, aber doch so weit, dass ihre Neugier wiederhergestellt war.
Wo war Bobby Chombo jetzt? War er abtransportiert worden, mitsamt seinem ganzen Equipment, von den Terroristenbekämpfern der Nation, dem Department of Homeland Security, oder, wie Inchmale es nannte: Homemade Security? Beschuldigt (oder nicht), bei irgendeinem Projekt zum Schmuggel von Massenvernichtungswaffen mitzumischen? Etwas an der unauffälligen Seltsamkeit der beiden Putzleute ließ sie daran zweifeln. Eher hatte er die Flatter gemacht, aber mit beträchtlicher Hilfe. Irgendeine Crew war zu ihm gekommen, hatte sein ganzes Zeug in diesen weißen Truck geladen und ihn wegtransportiert, irgendwo anders hin. Das konnte natürlich auch nur ein paar Blocks weiter sein. Aber wenn er selbst den Kontakt zu Alberto abgebrochen hatte und zum Rest dieser Kunstszene, welche Chance hatte sie dann, ihn wiederzufinden?
Irgendwo, dachte sie und sah zu der kaum sichtbaren Decke im abgedunkelten Zimmer hinauf, befand sich wahrscheinlich auch der Container. Ein langer Quader aus … Waren die Dinger aus Stahl gemacht? Ja, beschloss sie, aus Stahl. Sie hatte einmal mit einem irischen Architekten geschlafen, in einem Container auf seinem Landbesitz in Derry. Er hatte ihn zu einem Arbeitsstudio umgebaut. Übergroße Luken, mit dem Schweißbrenner herausgeschnitten, mit sperrholzgerahmter Verglasung. Definitiv Stahl. Sein Container war ursprünglich kühlisoliert gewesen, hatte er ihr erzählt. Denn in Containern ohne Isolierung wurde es zu kühl, und der Atem kondensierte.
Sie hatte vorher noch nie über diese Dinger nachgedacht. Man sah sie manchmal kurz von einem Freeway aus, aufeinandergepackt wie Odiles Roboterlego. Ein Teil der Realität von Heute, der so gewöhnlich war, dass man nicht darüber nachdachte, ihn nicht hinterfragte. So ziemlich alles reiste heute in diesen Dingern, nahm Hollis an. Keine Rohstoffe, wie Kohle oder Getreide, sondern Industrieprodukte. Sie erinnerte sich an Nachrichten über Container, die auf See, in Stürmen verloren gingen. Aufbrachen. Tausende von chinesischen Gummienten, die
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