Quellen Der Lust
eine juristische Angelegenheit“, sprang Mariah ihm zur Hilfe. „Es freut mich, Sie kennenzulernen, Professor.“
„Es ist mir ein Vergnügen, Mrs. Eller.“ Jamison verbeugte sich galant über ihre ausgestreckte Hand.
„Möchten Sie uns nicht beim Essen Gesellschaft leisten?“ Mariah zeigte auf den noch freien Platz an ihrem Tisch.
„Aber gerne.“ Er nahm rasch Platz. „St. Lawrence, ich hätte nicht gedacht, dich jemals in Damengesellschaft anzutreffen.“ Er zog die Augenbrauen hoch und wandte sich an Mariah. „Nicht den ‚eisernen Jack‘. Viel Arbeit, kein Vergnügen – das war sein Motto. Habe nie in meinem Leben einen ernsteren Achtzehnjährigen kennengelernt.“
Und daraufhin begann der redselige Professor, Geschichten aus Jacks Studententagen zu erzählen. Sehr zum Leidwesen seines ehemaligen Studenten und angefeuert durch Mariahs offensichtliches Interesse, redete Jacks alter Lehrer immer weiter und zeichnete das Porträt eines brillanten und ehrgeizigen jungen Mannes.
„Regelmäßig hat er die Antworten zu Prüfungen neu geschrieben, nachdem er schon seine Note bekommen hatte. War doppelt so klug wie seine Brüder. Aus ihm wäre ein überragender Wissenschaftler geworden. Ein Naturtalent in Mathematik. Unglaublich scharfer Verstand.“ Jamison seufzte und schüttelte den Kopf. „Ich flehte ihn an, hierzubleiben, wissen Sie, und sich ganz der Wissenschaft zu widmen. Doch das kam nicht zustande. Und so beweint die Universität noch immer seinen Verlust.“
„Ein Mann hat leider gewisse Verpflichtungen, Professor“, sagte Jack, der peinlich berührt in sein Weinglas blickte.
„Gegenüber seinem Vaterland, natürlich. Und selbstverständlich auch seiner Familie gegenüber.“
Jamisons Tonfall ließ darauf deuten, dass dies ein Thema war, das die beiden schon mehrmals ausgiebig besprochen hatten. „Aber auch sich selbst gegenüber.“ Der Professor sah ihn mit unverhohlenem Bedauern an. „Bei der Wahl seines Lebenswegs sollte man darauf achten, allen dreien gerecht zu werden. Seine Talente und Möglichkeiten zu vernachlässigen kommt einer Zurückweisung des Schicksals gleich. Doch das Schicksal findet immer einen Weg, uns für verschwendete Talente zur Rechenschaft zu ziehen.“
Mariah sah den nun angespannten Ausdruck in Jacks Gesicht und erkannte darin die Spuren des ehrgeizeigen Jungen, der er einstmals gewesen war: so vielversprechend, doch zwischen verschiedenen Erwartungen hin- und hergerissen. Und auch seine Brüder waren in der Erzählung des Professors wieder aufgetaucht. Sie sah ihn nun immer mehr als den ewig zur Seite geschobenen, ewig hungrigen, ewig dritten von fünf Söhnen.
Jack spürte Mariahs durchdringenden Blick auf sich und fühlte sich wie ein Schuljunge, den man bei einem Streich ertappt hatte. Er räusperte sich und versuchte, das Thema zu wechseln.
„Um noch einmal auf mein ursprüngliches Anliegen zurückzukommen. Ich muss diesen Winston Martindale finden. Kennen Sie ihn, Professor?“
„In der Tat. Er ist ebenfalls einer meiner ehemaligen Studenten. Doch das war vor deiner Zeit. Versteh mich nicht falsch, er ist auf jeden Fall ein respektabler Mann. Unterrichtet Philosophie am Magdalene College. Aber als ernsthaften Wissenschaftler kann man ihn nicht beschreiben. Die meisten seiner ‚Unterrichtsstunden‘ hält er abends im ‚Quill and Scroll‘ ab.“
Jack lehnte sich mit einem Ausdruck tiefster Missbilligung zurück. „Vielen Dank, Professor. Ich werde versuchen, Martindale an einem Ort zu treffen, der sich besser eignet, die Angelegenheiten einer Dame zu besprechen.“
„Was ist denn dieses Quill and Scroll?“ Mariah sah Jack fragend an.
„Eine Bierstube, die vor allem von Studenten aufgesucht wird“, informierte sie der Professor.
„Und was unterrichtet ein Professor in einer Bierstube?“, fragte Mercy.
„Nun, da wird er wohl gar nichts unterrichten. Eigentlich sollte er aber Unterrichtsstunden in seinen Räumen abhalten. Hier in Cambridge ist es in der Regel so, dass Professoren sich mit einem oder mehreren Studenten zusammensetzen, damit diese sich über ihre Forschungen austauschen, ihre Ergebnisse präsentieren und bewertet werden können“, erklärte Jack. „Und Martindale …“
„Hält seine Stunden in einer Gaststätte ab“, setzte Mariah seine Erläuterung fort. Was ihren potenziellen Ehemann nicht in einem sonderlich guten Licht erscheinen ließ.
Nachdem der Professor sich verabschiedet hatte und sie alle nach oben
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