Quellen Der Lust
entwickeln, um in London keine Zeit und Energie zu vergeuden.“ Sie zückte ihren Stift. „Wo kann ich einflussreiche Geschäftsmänner finden? Bankiers, Börsenmakler, Unternehmer …“
„In der City“, antwortete er und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie ihn das Thema wurmte. „Die meisten Büros, Banken und Börsen befinden sich in der City, dem wirtschaftlichen Zentrum der Stadt.“
„Hervorragend.“ Sie machte sich Notizen. „Und ich dachte mir, dass es auch nicht schaden könne, wenn ich mir ansehen würde, wie unser vorbildliches Justizsystem funktioniert. Wo trifft man auf Anwälte und Richter?“
„Im Temple-Distrikt. In den Inns of Court haben die Anwälte ihre Kanzleien. Die Gerichtsverhandlungen finden dann im Old Bailey statt.“
„Aha, Inns of Court.“ Sie schrieb eifrig mit. „Und wie steht es mit unserer illustren Regierung? Wo verbringen die Männer, die sich der Politik verschrieben haben, ihre Zeit?“
„Abgesehen vom Parlament und Westminster? Nun, es ist bekannt, dass in einigen Herrenclubs die wichtigen Entscheidungen getroffen werden.“ Er presste die Lippen zusammen.
„Und Ärzte? Die benötigen meist einflussreiche Gönner und Unterstützung.“
„Warum setzen wir nicht einfach eine ‚Ehemann gesucht‘-Anzeige in die Times ?“, bellte er verärgert.
„Glauben Sie, das könnte funktionieren?“, fragte sie mit aufreizend gespielter Unschuld.
Er stand auf, griff nach seinem Hut und murmelte, er würde sich ins Raucherabteil zurückziehen.
Mariah sah ihm hinterher, seufzte und schämte sich ein wenig für ihr Verhalten – aber nicht zu sehr.
14. KAPITEL
Am späten Nachmittag waren sie in London angekommen und nahmen eine Droschke vom Bahnhof zum Hotel Claridge’s im eleganten Stadtteil Mayfair, einem der besten und angesehensten Hotels der Stadt.
Jack redete kurz mit dem Empfangschef, der ihnen daraufhin zwei mit allem Komfort ausgestattete Zimmer nach hinten hinaus auf einem der oberen Stockwerke anbot.
„Nur zwei?“, fragte Mariah, als sie ihren Namen ins Register eintrug.
„Ich habe hier in der Stadt eine eigene Unterkunft.“
„Ach, wirklich?“ Sie sah ihn bestürzt an, doch ihre Stimmung hellte sich sofort wieder auf. „Nun, einen Aufpasser brauche ich wahrlich nicht.“ Sie sah sich im Foyer um, bemerkte den bewundernden Blick eines preußischen Generals in Uniform, komplett mit Reitstiefeln, Helm und goldenen Tressen, und schenkte ihm ein Lächeln.
Jack drehte sich mit angespanntem Gesicht zurück zum Empfangschef um.
„Entschuldigen Sie, aber wir brauchen drei Zimmer.“
Mariah war zutiefst von ihrer neuen Umgebung beeindruckt, aber versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Sie beobachtete, wie die Hotelangestellten in Livree sich geschäftig daran machten, ihr Gepäck hochzutragen und ihr Zimmer herzurichten. Doch schon beim Abendessen im Hotelrestaurant hatte sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden und war in der Lage, Jack ihr Programm für Einkäufe und Besichtigungen zu präsentieren – ein Programm, bei dem sie sich möglichst vielen potenziellen Londoner Ehekandidaten zeigen könne.
Mit versteinertem Gesicht umschloss er die Liste mit festem Würgegriff, entschuldigte sich noch vor dem Dessert und überließ Mariah für den Rest des Abends Mercys Gesellschaft.
Am nächsten Morgen um zehn betrat Mariah das kunstvoll ausgeschmückte Foyer des Claridge’s. Sie trug ihr streng geschnittenes dunkelblaues Reisekleid mit dem dazu passenden Hut und sah erholt und voller Tatendrang aus. Jack war selbst gerade erst eingetroffen und sah ungefähr so grau aus wie die Weste, die er unter seinem tadellosen schwarzen Anzug trug. Mit den tiefen Ringen unter seinen Augen, dem dunklen Anzug und einer Miene, als ob ihm vor den bevorstehenden Ereignissen graute, sah er aus wie ein verirrter Sargträger.
Besorgt schlug Mariah ihm vor, erst einmal einen Kaffee zu trinken und ihm vor der Abfahrt ein Mittel gegen Kopfschmerzen zu verabreichen. Er setzte seinen Zylinder auf, knurrte, dass er sich „hervorragend“ fühle und führte sie nach draußen zur wartenden Kutsche.
Die Straßen waren voller Kutschen, Karren, Pferdeomnibussen und Fußgängern, die alle durch die für diese Jahreszeit zu helle Sonne zu einem energischen Tempo animiert schienen. Mariah beugte sich hinüber zum Fenster, um einen Blick auf die Sehenswürdigkeiten zu erhaschen und bombardierte ihn mit Fragen über die prächtigen breiten Straßen, den Old Bailey, Big Ben
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