Quellen Der Lust
blieb einige Schritte vor ihnen stehen und hielt die Rumflasche fest umklammert.
„Seht euch das an. Was haben wir denn hier?“ Der Mann, der ihr am nächsten saß, ein Bursche mit rundem Gesicht und Pomade in den Haaren, sah mit anzüglichem Grinsen zu ihr auf.
„Ich bin die Besitzerin dieses Wirtshauses, meine Herren, und somit Ihre Gastgeberin.“ Einer spontanen Eingebung folgend, machte sie einen tiefen Knicks und verbarg dabei ihr sarkastisches Lächeln. Sie spürte, wie überrascht die Männer waren, und hatte vor, dies zu ihren Gunsten auszunutzen. Sie sah auf und … blickte geradewegs in ein Paar goldbrauner Augen in einem ungewöhnlich markanten Gesicht.
Abrupt hielt sie inne und musterte den Mann genauer. Er hatte welliges dunkles Haar und sonnengebräunte Haut, seine vollen, geschwungenen Lippen zeigten den Anflug eines schiefen Lächelns. Als ihre Blicke sich trafen, erlosch das Lächeln und seine Augen verdunkelten sich. Und verrieten sein Interesse . Sein durchdringender Blick fuhr wie ein brennendes Streichholz über ihre Haut und entzündete etwas, was sie nur noch selten verspürte: eine gespannte Erwartung.
Sie unterdrückte ein Schaudern und zwang sich, den Blick von ihm zu lösen, um ihn auf seinen Nachbarn zu richten: einen großen, korpulenten Mann mit schütterem Haar und einem unverwechselbaren Spitzbart.
Ihr wich das Blut aus den Wangen.
Sie kannte dieses Gesicht.
Ganz England kannte es.
Um alles in der Welt, war es tatsächlich möglich, dass Carson ihren zukünftigen König nicht erkannt hatte?
Jack St. Lawrence, der gerade einen weiteren Schluck Bier nehmen wollte, erstarrte mitten in der Bewegung und fixierte die Schönheit mit dem honigfarbenen Haar, die nur wenige Zoll vor seinen ausgestreckten Beinen in einem tiefen Knicks versunken war. Sie war von durchschnittlicher Größe, aber davon abgesehen war nichts an ihr durchschnittlich. Ihre Haltung war majestätisch, ihr volles Haar schimmerte in warmem, goldenem Glanz, ihre feinen Gesichtszüge waren harmonisch und attraktiv, und – verdammt – unter ihrer gestärkten Bluse und dem gut sitzenden Rock konnte er Kurven erkennen, die auch den frömmsten Geistlichen um den Verstand bringen könnten.
Der angenehme Biernebel in seinem Kopf verschwand dank einer unerwarteten Hitzewelle. Sie sah zu ihm auf, und er blickte in ein Paar Augen so blau wie ein Sommerhimmel – warm und verlockend –, und die seinen Blick mit einem unleugbaren gewissen Interesse erwiderten.
Bevor er reagieren konnte, drehte sie den Kopf zur Seite, sodass ihr Blick auf Bertie fiel. Jack sah, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich und sie die Augen erschrocken aufriss, als sie den Prinzen von Wales erkannte. Er hatte diese Reaktion schon oft bei Frauen jeden gesellschaftlichen Rangs gesehen: Überraschung und Ehrfurcht, gefolgt von übertriebenem Eifer, die Aufmerksamkeit des Prinzen auf sich zu ziehen.
Er blickte zu den Kumpanen des Prinzen hinüber, die sich anzüglich grinsend über die Lippen fuhren und die Frau vor ihnen mit wollüstiger Vorfreude taxierten. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Die ganze Truppe war schon mehr als angetrunken und wurde von Minute zu Minute unberechenbarer. Eine verführerische Schönheit in ihrer Mitte war in dieser Situation das Letzte, was er gebrauchen konnte. Er hatte schon mitansehen müssen, wie sie sich auf die junge Bedienung stürzten, die ihnen den Biernachschub gebracht hatte.
Gerade hatte er einschreiten wollen, als sie das Mädchen gepackt und angefasst hatten, da war der riesige Gastwirt erschienen und hatte gebrüllt, die Magd solle sich sofort wieder an ihre Arbeit in der Küche machen. Angesichts dieser Unterbrechung waren seine Begleiter so überrascht, dass sie das verängstigte Mädchen vom Tisch hinunterspringen ließen und die Episode mit einem Lachen abtaten, bevor sie sich wieder ihren Getränken zuwandten.
Er hatte erleichtert aufgeatmet und einen Schluck von seinem Bier getrunken, an dem er schon seit fast einer Stunde nippte. Der Gedanke daran, die ganze Truppe wieder einmal zügeln zu müssen, erfüllte ihn mit Unbehagen. Sie konnten Schwerstarbeit sein. Und leider waren sie seine Schwerstarbeit. Wenn er den Prinzen zur Jagd begleitete, war er dafür verantwortlich, darauf zu achten, dass die Männer nicht völlig außer Rand und Band gerieten.
Der Erbe des britischen Throns und Weltreiches, Prinz Albert Edward – „Bertie“ für seine Freunde – beugte sich vor und musterte die
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