Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
alte Brunner ist schon vor einigen Jahren gestorben, der Birmoser vor einem Jahr, und der alte Schlickenrieder liegt in Kreuth im Seniorenheim. Die drei waren immer beieinander. Obwohl der Birmoser natürlich ein bisschen jünger als die beiden anderen war.«
»Was hat der Brunner denn eigentlich geschafft?«, fragte Quercher.
»Der alte Brunner war beim Bund, irgendwas mit Vermögen. Seine Enkeltochter Gudrun war mit mir in der Schule und eine Zeit lang meine Freundin. Dann waren wir Querchers denen aber nicht mehr fein genug. Ich wurde nicht mehr zu den Geburtstagen eingeladen. Sie hat dann in die Schlickenrieder-Familie eingeheiratet. Und einer von den Schlickenrieders, Josef, ist wiederum eng mit dem Brunner-Enkel befreundet. Der Brunner, der Schlickenrieder und der Bürgermeister, die planen dieses Riesending unten am See. Eine Ayurvedaklinik mit zweihundert Betten.«
»Aber mit dem Birmoser junior hatten die drei nichts zu schaffen?«, fragte Quercher, dem wieder ein komisches Gefühl den Rücken hinaufkroch. Er wollte von alldem eigentlich nichts mehr hören.
»Nein, auf keinen Fall.« Anke lachte. »Der junge Birmoser war immer ein Hippie, der wollte Künstler sein, hat seinen Alten gehasst. Also haben ihm die Freunde seines Vaters auch keine Jobs mehr besorgt. So war der alte Birmoser ja zu seinem Reichtum gekommen. Der hat nur in den Häusern vom Brunner und Schlickenrieder gearbeitet.«
Quercher verstand gar nichts mehr. »Wieso haben denn Schlickenrieder und Brunner so viele Häuser gehabt? Gut, der alte Brunner hat beim Bund gearbeitet. Aber der Großvater vom Schlickenrieder war doch auch nur ein kleiner Elektriker.«
Anke zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber wenn du den Schlickenrieder für eine neue Außenlampe oder auf einer Baustelle haben wolltest, konntest du das vergessen. Der hat wie der Birmoser senior nur exklusiv gearbeitet.«
Ein Mann in einem Overall und einer Kapuze, die mit Schnee bedeckt war, kam herein und setzte sich an die Theke. Anke entschuldigte sich, stand auf und bediente den Kunden.
Arzu blickte in Querchers sichtlich genervtes Gesicht. »Was ist?«
Quercher schüttelte nur den Kopf und trank sein Bier in einem Zug aus. »Schluss mit dem Scheiß. Das Jahr geht dem Ende zu. Ich will keine Schwänke mehr aus Bad Wiessee hören. Zwischen den Jahren bin ich weg.«
Arzus Hang zu unnötigem Wissen brach wieder durch. »Weißt du, warum es ›zwischen den Jahren‹ heißt?«
Quercher stöhnte. »Ich geh aufs Klo.«
Er erhob sich von seiner Bank. Das Bier hatte bereits vor einigen Minuten die erste Wirkung gezeigt. Jetzt kam die zweite. Es sackte in die Beine. Herrlich. Die schöne Schwere begann. Er würde Arzu den Benz überlassen, selbst im Wagen des Bestatters mitfahren und dort auf der Rückbank neben der Leiche tief schlafen – endlich einmal.
Vorsichtig ging er die Treppen zum WC hinunter, vorbei an alten Bierplakaten und Schwarz-Weiß-Fotos aus den besseren Zeiten des Ortes. Mit seiner Jacke blieb er am Geländer hängen. Er ruckte zurück, rutschte und fiel, obwohl er verzweifelt versuchte, sich an der Wand festzuhalten, auf die Fliesen der Treppe. Dabei riss er drei Bilder ab. Zwei konnte er auffangen. Das dritte schepperte auf die Stufe. Das Glas zerbrach und der Rahmen fiel auseinander.
Oben erschien Anke. »Was ist denn jetzt los? Kannst du nicht einmal pinkeln gehen?«
Er hob nur seine Hand. »Alles gut. Ich mache das gleich selber weg.«
»Geh schon, ich kehre das zusammen.«
Sie drehte sich auf dem Absatz um, um Blech und Feger zu holen. Er hielt das Bild, das aus dem Rahmen gefallen war, in der Hand. Es war die Schwarz-Weiß-Fotografie einer Silvesterfeier. Das Foto schien nach dem Krieg aufgenommen worden zu sein. Fünf Männer saßen lachend und sich zuprostend um einen runden Tisch. In der Mitte, von einem der Männer umarmt, saß eine Frau mit einem gigantischen Mund und den damals üblichen Spitz-BHs. Die Männer trugen komische Hüte, enge weiße Hemden und große Strickschals. Eine vergilbte Unterschrift erklärte die Namen. Aber Querchers Blase drückte. Er steckte das Foto ein, stieß die Tür zur Herrentoilette auf und schritt in eine Kabine.
Quercher legte den Kopf nach hinten, schloss die Augen und entspannte sich. Neben ihm wurde die andere Kabine geöffnet. Er gehörte nicht zu den Männern, deren Blasenfluss abrupt endete, wenn ein anderer Mann in die Toilette kam. Also beachtete er den anderen gar nicht, ließ sich die kalte
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