Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
Sie richtete ihren Oberkörper auf und setzte sich in den Schneidersitz. Dann stand er vor ihr.
Sie drehte sich zur Seite, erhob sich und lächelte ihn an. »Das Essen ist fertig.«
Er hatte getrunken. Sie roch es. Und er war geladen. Das spürte sie. Er zwängte sich auf die Eckbank, fluchte, als er mit seinem Knie an ein Tischbein stieß, und griff nach der Lokalzeitung. Sie setzte sich dazu und schaute ihn an, ohne dass er das bemerkte. Fast zwanzig Jahre waren sie verheiratet. Und immer noch wunderte sie sich, wie viel Unhöflichkeit und Respektlosigkeit sich in ihrer Ehe breitgemacht hatte. Er setzte sich einfach hin und aß. Fragte nicht, erzählte nicht. Einfach sitzen und essen. Es waren diese Dinge, die sich in ihr ansammelten wie Muschelkalk am Rumpf eines Schiffes, es langsamer werden ließen, es in die Tiefe drückten. Auch sein Äußeres schien ihn nur noch wenig zu interessieren. Während sie ihrem Körper mit dem Yoga Spannkraft verlieh, welkte sein Fleisch. Sie sah das aufgequollene Gesicht, den Hals, der unter dem Kinn zu einer Tasche mutierte. All das war zusammen mit der Gewalt und dem Jähzorn einfach zu viel für sie.
Er schaute kurz auf. »Was?«, quoll es aus seinem vollen Mund.
Sie sah ihn an, atmete durch und sagte: »Ich verlasse dich.«
Nach so vielen Jahren der Ehe weiß man, welcher Ton in der Stimme des anderen Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit bedeutete. Auch Schlickenrieder wusste es.
Er schluckte alles, was in seinem Mund war, hinunter und ballte seine Hände. »Warum?«
Die Frage kam ihr vor wie das dumpfe Knurren eines Kampfhundes.
Elli schaute, um dem harten Blick ihres Mannes für einen Augenblick zu entkommen, aus dem Fenster. Der Nachbar schob eine rote Schneefräse über seine Einfahrt, die in hohem Bogen das aufgenommene Weiß in den Garten warf.
»Ich liebe dich nicht mehr. Ich will einen neuen Anfang.« Sie machte eine Pause, ehe sie fortfuhr. »Ich kann dich nicht mehr ertragen.«
Schlickenrieder wäre ruhig geblieben, hätte das Ganze vermutlich sogar ironisch kommentiert, um Zeit zu gewinnen. Aber der letzte Satz ließ alle Vorsätze zerbröseln.
Er griff über den Tisch, nahm ihre Haare und stieß ihren Kopf in den Teller mit der braunen Biersoße. Dann brüllte er nur noch. Mit einer irrsinnigen Kraft schob er mit den Beinen den Tisch nach vorn, zog seine Frau, die ebenfalls schreiend mit dem Oberkörper auf dem Tisch lag, über die Eckbank in das Wohnzimmer.
Es dauerte nur wenige Minuten. Elli lag danach regungslos vor Schmerzen und Scham auf dem Teppich, den sie aus dem Urlaub in Marokko mitgebracht hatte. Er hatte aufgehört, weil das Telefon klingelte. Kaum hatte er den Anruf angenommen, begann sie zu schreien.
Er drückte den Anruf nach einem »Ich rufe zurück« weg, drehte sich zu ihr, löste seinen Gürtel, ließ seine Hose fallen und sagte: »Mit dir bin ich noch nicht fertig.«
Kapitel 31
Bad Wiessee, Mittwoch, 20. 12., 12.13 Uhr
Seine Schwester hatte Quercher den Tipp gegeben, mit Ludwig Heilingbrunner, Stangassingers Vorgänger, zu reden. Seine Frau Hedda, eine gebürtige Niedersächsin mit der dort üblichen schroffen Art, wollte ihn zunächst gar nicht hineinlassen. Aber Heilingbrunner war schon zur Stelle und bat Quercher in sein Haus, das direkt am See lag. Selbst Lumpi durfte mitkommen, sich unter den Couchtisch legen und dort einschlafen.
Heilingbrunner hatte sich nach der Wahlniederlage aus der Kommunalpolitik zurückgezogen und widmete sich nun als Rentner seinem Hobby, der Bergwacht. Das schien in der Familie zu liegen. Die Männer engagierten sich alle dort. Sein Bruder hatte Quercher und Hannah zu der Leiche auf der Falzeralm geführt. Heilingbrunner war vor seiner Amtszeit als Bürgermeister Chef der hiesigen Sparkasse gewesen. Er kannte den kleinen Quercher, hatte für ihn beim Weltspartag die Spardose geöffnet. Und er wusste um die immerwährende finanzielle Not der Familie. Auch deswegen duzte er Quercher.
»Kommst du wegen der Grundschuld?«
Quercher stutzte. Der Kontakt mit Bankangestellten machte ihm seit jeher Angst. Er war mit ihrem Geschäft nur rudimentär vertraut und er besaß aufgrund seiner Erlebnisse in der Kindheit ein immerwährendes schlechtes Gewissen, wenn ihn ein Banker nach Schulden fragte. »Was für eine Grundschuld?«
Heilingbrunner stockte. »Hat dir deine Mutter das nicht erzählt? Eine Drecksbagage, alle miteinander. Sie hat wohl auf die Mahnungen nicht reagiert. Und jetzt war es der
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