Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
Minuten in der Gondel bis zum Gipfel mussten für einen Gedankenaustausch reichen.
Der alte Mann sah an Brunner vorbei hinauf zum Berg, wo ein fades Restaurant mit ebenso fadem Essen wartete. Dann begann er leise zu reden.
»Der Quercher gibt nicht auf. Er, die Kürten und diese Türkin recherchieren, überwachen und analysieren unsere Schritte. Bei der Untersuchung des Leichenwagens fanden die Beamten keine menschlichen Überreste. Ich konnte zwar den Hinweis im Polizeibericht etwas modifizieren. Aber die Leiche bleibt verschwunden. Das Einschüchtern, das Drohen und das massive Verschleiern haben Quercher erst auf unsere Spur gebracht. Ich denke, Sie sollten mir auf zwei Fragen gute Antworten geben. Erstens: Wo ist die Leiche? Zweitens: Was tun Sie, um dieses Ermittlertrio aus dem Tal zu verscheuchen?«
Brunner wollte ihn unterbrechen.
Aber Rieger hob nur seine knochige Hand und fuhr unbeirrt fort. »Denken Sie bitte nach, bevor Sie antworten. Bis zum Gipfel will ich eine Lösung.«
Alfred Brunner spürte Angst in sich aufsteigen. Rieger war ein anderes Kaliber als seine üblichen Feinde. Wenn er vernichtete, tat er dies gründlich. Brunner selbst hatte es vor Jahren miterlebt. Und so nickte er erst einmal, um Zeit zu gewinnen. Die Gondel wurde in die Höhe gezogen, ließ den Blick auf Tannengipfel und eine gerodete Schneise frei werden, wo Brunner Spuren von Wildtieren erkannte. Er atmete durch. Die Strategie des Einschüchterns war auf seinem Mist gewachsen. Diese Methode hatte bislang immer funktioniert.
»Stangassinger hat mit dem Bestatter geredet. Der hat sie definitiv nicht mehr im Lager. Wir gehen davon aus, dass Quercher sie versteckt hält. Schlickenrieder wird sich darum kümmern. Aber so leicht ist das nicht. Wir sollten die Handschuhe ausziehen, Herr Rieger. Ihr Mann sollte das final lösen. Wir bringen die drei unter fadenscheinigen Gründen zusammen und lassen sie dann verschwinden. Das Ganze sieht wie ein Unfall aus. Wir hinterlassen noch etwas Diskreditierendes in Querchers Wohnung und dann wächst ganz schnell Gras über die Sache. Und was immer mit der Leiche passiert, ist uns dann egal.«
Rieger sah Brunner unverwandt in die Augen. Es war die offensichtliche Dummheit, die Rieger so schmerzte. Schließlich hatte er den Enkel seines Freundes aufbauen wollen. Und somit war es auch seine Schuld, dass dieser Mann so unfassbar dümmlich war. Das war immer die Krux mit der Auswahl geeigneten Personals. Waren sie zu klug, wurden sie renitent und schlecht führbar. Waren sie nicht die hellsten Lichter im Kronleuchter, dachten sie nicht über den Tellerrand, machten Fehler und mussten schnell ausgewechselt werden.
Aber dieser Fall war schwierig. Er hatte Brunners Großvater auf dessen Sterbebett versprechen müssen, dass er sich um seinen Sohn und seinen Enkel kümmern würde. Als der Enkel dann mit dieser riesigen Immobiliennummer für Bad Wiessee zu ihm kam, schwante Rieger, dass dieses Projekt nur von Profis zu stemmen sei. Den ganzen Ort zu entwickeln, wäre das Größte, hatte Brunner ihm erzählt. Drei Kilometer Uferfläche, das Jodschwefelbad im Zentrum, ringsherum Kliniken, Hotels und Forschungszentren für die immer älter werdende, aber große Babyboomer-Generation. Schon jetzt kamen doch die Araber. Was, wenn erst einmal die Chinesen und Inder, die Russen und Südamerikaner an den Tegernsee reisten? Da stecke so viel Potenzial dahinter. München vor der Tür. Salzburg auch. Und alles sauber und diskret, wie es die Ausländer mögen. Und Rieger könne seine Leute ebenfalls überall unterbringen. Ein Las Vegas der Gesundheit könne Bad Wiessee werden. Und das ganze Schwarzgeld könnte so über die Firma auf den Kaimaninseln wunderbar investiert werden. Das Netzwerk würde in wenigen Jahren davon profitieren können. Niemand würde Fragen stellen, wenn die Kräne erst einmal das Ortsbild prägten und den Ort zu einem Hotspot der Rehakliniken werden ließen.
Das schiefe Bild mit den Kränen hätte Rieger schon stutzig machen müssen. Auch vom Bürgermeister hielt er nichts. Aber am schlimmsten war der Elektriker. Jähzornig und unbeherrscht. Manchmal schien es Rieger, als ob er am Ende seines Lebens nur noch mit mittelmäßigem Personal arbeiten müsse, um eine Schuld zurückzuzahlen. Weil er in seiner aktiven Zeit so viele gute, fähige Leute verbrannt hatte?
Schon als die Gondel die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatte, war Rieger klar, dass er selbst tätig werden müsste. Er musste
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