Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
schießt ein ausländischer Investor, den der Brunner angeschleppt hat, weitere sechzig Prozent dazu. Und die letzten zwanzig Prozent teilen sich die drei Herrschaften auf.«
Quercher hob die Augenbrauen. »Das sind immer noch mehr als zwanzig Millionen Euro und somit mehr als sechs Millionen Euro für jeden der drei. Woher haben ein Elektriker, ein Bürgermeister und ein Makler so viel Geld?«
Heilingbrunner zuckte mit den Schultern. »Du solltest noch eins wissen: Ende des Jahres, also in elf Tagen, muss das Gesamtvolumen des Projekts von allen Parteien gefixt sein. Das heißt, jemand wie der Schlickenrieder, der zum jetzigen Zeitpunkt seine Einlage noch nicht fest zugesagt hat, muss bis dahin seinen Anteil auf ein Treuhandkonto eingezahlt haben. Andernfalls haben andere Parteien das Recht einzusteigen. Tun sie das nicht, zerbricht der Deal. Das alles muss bis zum 31. Dezember unter Dach und Fach sein. Max, sei vorsichtig! Bei so viel Geld verstehen die Beteiligten keinen Spaß. Ich weiß aus guten Quellen von meinem ehemaligen Amtskollegen aus Rottach, dass ein dortiger Bürger seine Finger im Spiel hat. Einer mit vielen und engen Kontakten nach ganz oben. Das ist ein riesiges Wespennest.«
Quercher konnte es kaum glauben. Das musste Rieger sein.
Immer mehr Puzzleteile lagen auf dem Tisch. Aber er konnte sie noch nicht zusammensetzen.
Quercher bedankte sich bei dem alten Mann und erhob sich. Im Flur stand dessen jüngerer Bruder Franz und leerte eine Spendendose der Bergwacht. Lumpi sprang an ihm hoch und ließ sich von dem kräftigen Kerl streicheln. Franz Heilingbrunner führte die Lawinenhundestaffel der Bergwacht. Er liebte jeden Hund.
»Du, Max, kommst wieder her? Wir suchen erfahrene Leute. Du warst doch auch bei den Gebirgsjägern?«
Quercher grinste müde. »Ich in den Bergen? Niemals. Ich brauche das Meer. Aber …« Quercher griff in seine Tasche, wühlte einen zerknüllten Zehneuroschein heraus und steckte ihn in die Spendendose. »… ich kaufe mich frei!«
Franz Heilingbrunner steckte ihm eine selbst gedrehte Zigarette zu. »Vergelt’s Gott, wirst’s schon noch brauchen«, flüsterte er leise.
Kapitel 32
Bad Wiessee, Mittwoch, 20. 12., 12.35 Uhr
Kaum saß Quercher im Auto, rief er seine Schwester an. Anke hatte schon mit ihrer Mutter telefoniert.
»Fahr bitte zu ihr«, bat sie ihn. »Ich glaube, sie braucht jetzt Zuspruch von einem Mann.«
Quercher wusste, dass das nicht stimmte. Seine Mutter brauchte jemanden, an dem sie ihre Bitterkeit auslassen konnte. Beklommen fuhr er durch das Dorf, hinauf zu seinem Elternhaus.
Es war ein Blick, der ihn ins Mark traf. Ein Blick, der ihn wieder schwach und klein und unbeholfen machte. Es war der Blick seiner Mutter.
Sie hatte am Tisch gesessen. Neben sich eine Tasse Kaffee, hatte sie auf den Brief gestarrt. Die Mutter entschuldigte, ohne dass Quercher irgendetwas in dieser Hinsicht erwähnt hätte, die Schwester. Sie müsse sich um das Bußgeld des Gesundheitsamts kümmern. Das hätte er ja wohl auch genauso mitverschuldet wie die Misere um sein Elternhaus. Sie hätte die Tochter angerufen und ihr von dem Brief erzählt. Quercher setzte sich zu ihr. Hilflos. Er hatte gewusst, dass das Haus der Eltern verschuldet war. Und jetzt war der Tag gekommen, an dem die Bank es veräußert hatte. Ohne zuvor mit ihr zu sprechen. Nur so. Ihre Schulden hatte die Bank einfach an den Immobilienunternehmer Alfred Brunner, wohnhaft in München, weitergereicht. Wie war so etwas möglich? Quercher konnte seiner Mutter nicht ins Gesicht sehen. Sie hatte recht. Es war seine Schuld.
»Wo soll ich denn jetzt hin?« Sie stockte. »Ich habe doch kein Geld für eine Miete. Um Gottes willen! Ich bin fünfundsiebig Jahre alt. Ich kann doch nicht mehr arbeiten gehen. Wie stellen die sich das denn vor? Kannst du mir helfen?«
Quercher konnte nicht antworten. Er schwieg. Was sollte er sagen? Komm mit mir nach Salina, du Albtraum meiner Kindheit? Er hörte auf das Ticken der Küchenuhr, die über der Tür befestigt war. Sah auf die Meisenknödel, die seine Mutter vor dem Fenster an einen knorrigen Apfelbaum gehängt hatte.
Sie drehte langsam ihren Kopf in seine Richtung. Ihre Hoffnungslosigkeit hatte sich plötzlich in blanke Wut verwandelt. Wut, die er gut kannte.
Es brach aus ihr heraus, nicht laut, aber schneidend. »Du wirst mir nicht helfen! Das hast du nie. Nur Ärger hast du mir bereitet!«
Sie rieb ihre Hände, während sie sprach. Er wollte es nicht
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