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Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht

Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht

Titel: Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Calsow
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    Hannah und Max mussten von ihrer erhöhten Position hinunter zu der Berghütte klettern. Bergab waren die Schuhe noch schwieriger zu handhaben. Lumpi sprang vor den beiden im Schnee. Scheute sie sonst jeden Regentropfen, war die Hündin bei diesem Wetter wie von Sinnen. Sie sprang, einem Känguru gleich, in die tiefsten Schneefelder, hüpfte wieder heraus und lief, ohne zu stoppen, weiter. Das Tier war für Quercher selbst in angespannten Momenten wie diesem immer ein Grund zum Lächeln.
    Bald ist Schluss mit der Kälte. Die Insel wartet, dachte er.
    Die Siebenhüttenalm ist im Sommer der Anlaufpunkt für Rentner, die keine weiten Wege mehr gehen können oder wollen. Gerne kommen hierher aber auch Eltern mit monströsen Kinderwagen, die dann sowohl das Gefährt als auch die Brut nicht weiter den Berg hinaufschieben wollen. Man parkt in Wildbad, geht eine halbe Stunde, um sich dann verschwitzt der bayerischen Küche zu widmen, die hier serviert wird. Die Mutigeren unter den Sommerfrischlern wandern gut drei Kilometer weiter hinein in eine Schlucht. Dort wartet ein echtes Klettererlebnis für die Menschen aus dem Norden. Schon vor der Alm kann man die Wand der Blauberge sehen. Es ist ein ordentliches Bergmassiv, eine Ansammlung von bis zu fast tausendneunhundert Meter hohen Gipfeln, mit der Halserspitz als Krönung. Der Wanderer läuft von der Alm in einen vom Wildbach geformten Trichter auf dieses Massiv zu, welches die Grenze zu Österreich markiert. Der Trichter trägt den martialischen Namen Wolfsschlucht . Hier klettern im Sommer die Menschen hinauf auf die Blauberge. Jetzt lagen Tonnen von Schnee an ihren Hängen.
    Siebenhütten besteht aus drei Häusern: Ein Wirtschaftsgebäude wird von einer hiesigen Familie im Sommer als Ausschank und Küche genutzt, die beiden anderen als Schober und Warenraum. Alle sind aus massiven Fichtenbohlen erbaut worden. Die Winter sind hier hart. Die Temperaturen fallen immer unter minus zehn Grad. Meist liegt von Anfang November bis Ende März der Schnee meterhoch um die Häuser. Die Erbauer solcher Almen kannten diese Wetterbedingungen gut und meist aus leidvoller Erfahrung. Die Heuschober waren so konzipiert, dass zwischen den einzelnen Balken noch Luft zirkulieren konnte und so das Heu vor Nässe bewahrte. Immer wieder fiel Quercher auf, wie schlau und im Einklang mit den Jahreszeiten die Menschen in seiner Heimat lebten. Ob es das kluge Schlagen von Bäumen im Winter oder das richtige Bauen von Häusern und Almen war.
    Lumpi hatte Elli entdeckt und sprang bellend auf sie zu. Die Frau des Elektrikers hatte keine Scheu vor Hunden, hielt Lumpi die flache Hand hin und kraulte ihr dann den rotbraunen Nacken, was sie sich gern gefallen ließ.
    »Du hattest immer schon einen Blick für gute Frauen«, rief sie Quercher lachend zu.
    Er wollte etwas Witziges erwidern, doch dann blieb er wie erstarrt stehen. In seiner Ausbildung zum Polizisten hatte er immer wieder Opfer häuslicher Gewalt sehen müssen. Aber Elli Schlickenrieder war so schlimm zugerichtet, dass er sich fragte, wie sie es bis hierher geschafft hatte. Ihr Gesicht war eine einzige Schwellung. Sie konnte nur aus einem Auge sehen. Am Hals erkannte er dunkle Hämatome. Grenzenlose Wut stieg in Quercher auf. Vorsichtig berührte er Ellis Arme. Sie zischte einen Schmerzenslaut durch ihre Zähne.
    »War er das?«, fragte Quercher.
    Sie nickte und sah zu Boden. Was Quercher immer am meisten zu schaffen machte, waren die Schuldgefühle und die Scham der Opfer, der Frauen. So schnell wie die Männer ihre Gewalt vergaßen, so lange belasteten die Gefühle von Schmerz, Angst und Scham die Frauen. Sie wurden das selten wieder los. Das wusste er. Und er wusste, dass Josef Schlickenrieder dafür würde zahlen müssen.
    »Wer ist das?«
    Elli riss Quercher aus seiner Wut. Er drehte sich zu Hannah um und stellte die beiden Frauen einander vor. Elli nickte Hannah zu. Ihr war es egal, wer noch von den Schweinereien ihres Mannes erfahren würde.
    Sie zeigte auf das Wirtschaftsgebäude. »Meine Cousine führt die Alm. Ich habe einen Schlüssel.«
    Sie ging voran, schob mit dem Fuß die Schneemengen vor dem Eingang fort, öffnete die Tür und wies nach innen. Hier war es kaum wärmer. Es roch abgestanden. Elli wuchtete die Sporttasche auf einen großen Küchentisch, knipste das Licht an und eine Neonröhre flackerte an der Decke auf. Vorsichtig nahm Elli eine kleine Kiste, einen Papierstapel und mehrere in Leder eingebundene Kladden

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