Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
für die Hose und die Schneeschuhe.
»Das Schützenstüberl scheint gutes Geld abzuwerfen, so sie denn nicht geschlossen wird«, feixte er, als er auf dem Parkplatz in Wildbad Kreuth den großen Rucksack aus dem Kofferraum holte. Während sie sich umzogen, wollte Hannah wissen, was Rieger erzählt hatte.
»Er hat mir ein Angebot gemacht, das ich seiner Meinung nicht abschlagen könne. Ich solle aus dem Tal verschwinden. Und für mein Leben danach sei gesorgt. So etwas hört man als Polizist nicht das erste Mal.«
Er schlüpfte in die Schuhe und wehrte Lumpi ab, die an seinen Händen stupste. Ihr war kalt, sie zitterte und wollte laufen.
»Mehr nicht? Nichts über meinen Großvater … über die Leiche?«
Quercher erhob sich stöhnend. »Doch, dein Großvater hätte hier mit Grundstücken gehandelt. Dann soll er mit dem Geld euer Imperium aufgebaut haben. All das erklärt nicht … na ja, egal.«
Etwas sagte ihm, dass er Hannah nicht alles erzählen sollte. Auch nicht das, was ihm der Leiter der Historikerkommission über Altnazis und ihre Verbindung zu Hannahs Vater gesagt hatte.
Sie passierten auf einem geräumten Weg eine Gaststätte, die neben einer kleinen Kapelle den Abschluss des Gutshofsgeländes bildete. Das Anwesen der CSU lag oberhalb eines Tals, das ein kleiner Fluss im Laufe der Jahrmillionen in den Kalkstein gerieben hatte. Es war einer von vielen Zuflüssen der Weißach. Hier floss das Wasser von den südlich gelegenen Blaubergen hinab, strömte durch das Kreuther Tal und ergoss sich dann in den Tegernsee.
Sie würden eine halbe Stunde oberhalb dieses Tals laufen, das rechts von ihnen lag und Hannah an Bilder aus der Wildnis Kanadas erinnerte. Niemand war zu sehen. Die Warnungen vor dem Schneesturm hatten wohl viele Menschen in ihre Häuser getrieben.
Quercher deutete nach links. »Etwa fünfzig Meter von hier liegt eine Quelle. Seit Jahrhunderten kamen Herrscher von weit her, der Zar von Russland zum Beispiel, um sich an dieser Quelle heilen zu lassen. Geholfen hat es wohl nicht. Aber der Bach, der von hier wegführt, friert aufgrund der Schwefel- und Eisenanteile nie zu und fließt zu einem Fischteich unterhalb von hier.«
Tatsächlich sah Hannah die rostige Färbung des Baches.
»Da drüben, weiter unten«, Quercher deutete nach rechts, »führt ein geräumter Weg entlang eines Flusses nach Siebenhütten.«
»Warum gehen wir nicht da entlang?«, fragte Hannah schon etwas außer Puste.
»Elli wird von dort kommen. Sie parkt ihr Auto auf dem Parkplatz und läuft vermutlich diesen Weg. Ich möchte von hier oben sehen, ob ihr jemand folgt.«
Der Schnee wurde jetzt tief und sie benötigten die Schneeschuhe. So kam man bei diesen Wetterverhältnissen am besten voran. Die ovalförmigen Fortbewegungsmittel verteilten auf kluge Weise das Körpergewicht auf die Schneefläche und vermieden so ein Einsacken. Aber die Benutzung der Schuhe war gewöhnungsbedürftig. Hannah fiel mehrfach hin, weil sie mit der Vorderkante im Schnee hängen blieb. Aber nach kurzer Zeit funktionierte es. Sie wanderten durch einen Wald. Eine sonderbare Stille umgab sie. Sie waren wirklich ganz allein. Langsam schritten sie an der Kante des Hangs entlang. Unter ihnen floss die Felsweißach, der Bergfluss. Seine Fließkraft ließ ihn auch jetzt noch fast eisfrei sein. Hinter dem Fluss schlängelte sich der von Quercher erwähnte Weg entlang. Dahinter ging es steil zu einem schneebedeckten Berghang, dem Gernbergkopf, aufwärts. Hannah sah in nach oben, Quercher folgte ihrem Blick. Von Westen her wurde der Himmel immer schwärzer. In weniger als zwei Stunden würde die Sonne endgültig untergegangen sein. Sie hatten nur noch verdammt wenig Zeit für eine Outdoor-Zeugenbefragung.
»Heute haben wir die Thomasnacht, die längste Nacht vor dem kürzesten Tag«, erklärte er.
Sie nickte nur, schwer Atem holend.
»Da«, rief Quercher und zeigte mit dem Stock auf den unter ihnen liegenden Parkplatz.
Er sah Elli von Weitem. Sie stand an einem Landrover, öffnete die Heckklappe, nahm eine Sporttasche heraus und schwang sie sich auf den Rücken. Sie sah sich um, ehe sie sich mit zwei Wanderstöcken in ihre Richtung aufmachte. Ihren leicht x-beinigen Gang erkannte Quercher immer noch. Schnell kam sie mit ihren Nordic-Walking-Stöcken voran. Mehrmals stach sie damit in den vor ihr liegenden Schnee, um zu sehen, ob dieser dort nicht zu tief war. Elli trug die Tasche mühelos. Bei dem Tempo würden sie zur gleichen Zeit die Hütte
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